: Die Frösche sterben im Ernst
Mecklenburg-VorpommernLucas Cranach und der Curry Treff 13: Die Ausstellung „Art & Entertainment“ in Neubrandenburg
Ich stehe am Museumsshop des Schlosses Küsserow, das einst der romantische Dichter und Katzenliebhaber G. F. W. von Trillitz bewohnte. Der Shop hat das übliche Angebot: Tassen, Bücher, Postkarten, Weine, Seife, Konfekt, Plakate und T-Shirts, aber auch Katzenfutter in Dosen und Katzenfotos – alles mit dem Schloss oder dem Dichter drauf und alles sehr edel. Das Schloss und den Dichter gibt es aber nicht. Der Museumsshop ist eine Installation der in Küsserow lebenden Künstler Rolf Wicker und Barbara Anna Keiner im Rahmen der Kunstschau 2016 des Künstlerbundes Mecklenburg und Vorpommern.
Die in der Neubrandenburger RWN-Art Galerie des Künstlerbundes stattfindende Ausstellung Art & Entertainment findet in zwei riesigen Hallen statt, in denen zuvor Panzer des Warschauer Pakts repariert und Afrika-tauglich gemacht wurden. Davor waren dort Torpedos für die Wehrmacht zusammengebaut und im zehn Kilometer langen Tollensesee nebenan getestet worden. Heute befindet sich am Ufer ein Bootsverleih, ansonsten wartet ein Großteil des Geländes noch auf seine zivilen Nutzer. Die Bundeswehr hat es vorgezogen, sich in Neubrandenburg nahe dem ehemaligen KZ-Gelände zu kasernieren.
Zwischen den beiden Ausstellungshallen steht ein Verkaufswagen: Der Curry Treff 13 ist keine Installation – das Besitzerehepaar verkauft Speisen und Getränke. Auch die sechs in der „Halle 7“ boxenden jungen Menschen sind echt: Zwar sind sie Teil der Ausstellung, kommen aber vom Boxclub Traktor Schwerin, in dem auch die Projektleiterin kämpft. Darüber hinaus sind 39 weitere, vorwiegend aus Mecklenburg-Vorpommern stammende Künstler mit ihren Arbeiten vertreten.
Einer, Robert Günther, hat ein Kaleidoskop mit Memento Mori-Fundstückchen ausgestellt, das wie ein großes Fernrohr aussieht. Ein anderer, Wilfried Schröder, hat mehrfach den saudischen Blogger Raif Badawi, der ausgepeitscht werden soll, porträtiert. Unter zwei verfremdeten Porträts aus der Nazizeit hat die Künstlerin Maria Raeuber das Gedicht „Humorlos“ von Erich Fried geklebt: „Die Jungen werfen zum Spaß mit Steinen/ Die Frösche sterben im Ernst.“ Verfremdet wurden auch zwei Porträts von Lucas Cranach: Der Künstler Klaus-Dieter Steinberg machte aus dem dort abgebildeten Ehepaar modische Easyjetter.
Umgekehrt verfuhr Horst-Werner Richter: Seine Landschaftsgemälde, „Golfplatz“ etwa, sind bis hin zu ihren Rahmen altmeisterlich gehalten. Während die Porträts von vier „einkommensschwachen Mecklenburgern“ des Fotografen Bernd Lasdin nur allzu realistisch sind. Von den Hasen der Künstlerinnen Annette Leyener und Anne Hille blieben dagegen nur ihre Silhouetten übrig. Und von den „unbelebten Orten“ der großflächig malenden Anja Brachmann nur die Architektur und ihre Möblierung.
Ihre Bilder illustrieren quasi das, was der Ethnologe Marc Augé moderne „Nicht-Orte“ nennt und ein Ausstellungsbesucher so beschreibt: „Das Reparaturwerk Neubrandenburg bei Nacht.“ Sich tagsüber die Ausstellung anzugucken lohnt sich aber. Badezeug mitnehmen!
Helmut Höge
Die „26. Kunstschau“ des Künstlerbundes MV in seiner Galerie Nemerower Str. 16 in 17033 Neubrandenburg ist bis zum 11. September geöffnet
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