piwik no script img

Run­ter­kom­men in Magen­ta

Leuchtkunst Im Lichte einer transzendentalen Erfahrung: James Turrells Lichtspiel in der Kapelle auf dem Do­ro­the­en­städ­ti­schen Fried­hof hat Strahlkraft auch für Clubgänger

Es werde buntes Licht: James Turrells farbenspielende Lichtinstallation in der Kapelle des Dorotheenstädischen Friedhofs Foto: Wolfgang Borrs

von Tilman Baumgärtel

Auf den Do­ro­the­en­städ­ti­schen Fried­hof zieht es zu­nächst na­tür­lich den Bil­dungs­bür­ger. Hier lie­gt im stil­len Grün die In­tel­li­gen­zia Preu­ßens (Hegel, Fich­te, Schin­kel) neben Ost-Ber­li­ner Kul­tur­grö­ßen (Brecht, Wei­gel, Heart­field, Eis­ler, Hei­ner Mül­ler). Zu­letzt wur­den unter an­de­rem Jo­han­nes Rau, Fritz Teu­fel, Harun Fa­ro­cki, Otto San­der und Wolf­gang Herrn­dorf hier be­gra­ben, teil­wei­se in Eh­ren­grä­bern des Ber­li­ner Se­nats.

Seit einem Jahr hat der Fried­hof einen neuen An­zie­hungs­punkt: Im Juli 2015 wurde in der schlich­ten, an einen grie­chi­schen Tem­pel er­in­nern­den Fried­hofs­ka­pel­le eine Lich­t­in­stal­la­ti­on des ame­ri­ka­ni­schen Licht­künst­lers James Tur­rell ein­ge­weiht. Bei abendlichen Präsentationen kann man Zeuge wer­den, wie das In­ne­re des 1928 ein­ge­weih­ten Bau­werks durch ein von dem 73-jäh­ri­gen Quä­ker pro­gram­mier­tes Licht­spiel er­leuch­tet wird.

Spä­tes­tens seit das Hips­ter-Ma­ga­zin Vice auf sei­ner Web­site „The Crea­tor’s Pro­ject“ über die In­stal­la­ti­on be­rich­tet hat, taucht zu den Prä­sen­ta­tio­nen von Tur­rells Licht­show neu­er­dings eine Art Flash Mob von Jung­men­schen auf, die wahr­schein­lich schon seit sehr lan­ger Zeit in kei­nem nor­ma­len Got­tes­dienst mehr waren. Ob die zum Vor­glü­hen vor der Club­nacht hier sind?

Ihnen wird in der Ka­pel­le ein Rund­um-Far­b­er­leb­nis be­schert, das schon ein biss­chen an die Lighthow in einem Club er­in­nert. Das Ar­chi­tek­tur­bü­ro Nede­ly­kov Mo­rei­ra Ar­chi­tek­ten hat die Ka­pel­le so sa­niert, dass die In­nen­ar­chi­tek­tur fast kom­plett als Pro­jek­ti­ons- oder Re­flexi­ons­flä­che für die Blau-, Magen­ta-, Mint­grün- und Sa­fran­gelb-Farb­tö­ne dient, die sich im Raum mi­schen. Die Farb­kom­po­si­tio­nen wech­seln im 3-Mi­nu­ten-Rhyth­mus.

Tur­rell hat für ver­schie­de­ne An­läs­se un­ter­schied­li­che Farb­kom­po­si­tio­nen ent­wi­ckelt: Bei Got­tes­diens­ten er­strahlt das Kir­chen­schiff zu Pfings­ten rot, im Ad­vent vio­lett und weiß zu Weih­nach­ten und an Os­tern. Für die Pu­bli­kums­prä­sen­ta­tio­nen wurde eine ein­stün­di­ge Farb­fol­ge ge­schaf­fen.

Kapelle mit Lichtkunst

Die Kapelle mit der Lichtkunst von James Turrell findet sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, Chausseestraße 126. Der Beginn der einstündigen Kapellenführungen ist abhängig von den Sonnenuntergangszeiten, die Lichtkunstpräsentation ist darauf abgestimmt. Die nächsten Termine sind am Samstag und Montag, jeweils 19.30 Uhr. Eintritt 10 Euro, Kinder bis 12 Jahre frei.

Im September gibt es auch wieder samstags Offene-Kapelle-Termine zur stillen Andacht, mit der Präsentation der Lichtkunst ohne Führung. Hier gilt: Eintritt frei. Der nächste Termin: 3. September, 20.45 Uhr. Information: www.evfbs.de

Der Altar ist aus Acryl­glas und strahlt durch in­te­grier­te Leucht­di­oden von innen. Der Al­tar­raum wird von einem Glas­bo­gen ein­ge­fasst, hin­ter dem sich wei­te­re Licht­quel­len be­fin­den. LED-Licht­bän­der sind auch an der Decke und ent­lang der hohen Fens­ter ein­ge­zo­gen. Wäh­rend drau­ßen lang­sam das Licht er­lischt, ver­mischt sich der Däm­mer mit dem künst­li­chen Licht in der Ka­pel­le und lässt so op­ti­sche Il­lu­sio­nen ent­ste­hen: Die Fens­ter aus wei­ßem Milch­glas er­strah­len zu dem auf die Wände ge­wor­fe­nen Farb­licht in Kom­ple­men­tär­far­ben, die ob­jek­tiv gar nicht da sind – ein Phä­no­men, das nur in der Zeit des Son­nen­auf- und -un­ter­gangs zu be­ob­ach­ten ist.

Diese In­stal­la­ti­on scheint nun eine Kli­en­tel an­zu­zie­hen, das möglicherweise ein ge­stei­ger­tes In­ter­es­se daran hat, Dinge zu sehen, die ei­gent­lich gar nicht da sind. Wer sonst vielleicht mit che­mi­scher Hilfe zu sol­chen Wahr­neh­mungs­zu­stän­den ge­langt, be­kommt diese hier auf ganz na­tür­li­che Weise ge­lie­fert. In den mi­ni­ma­lis­ti­schen Holz­bän­ken sitzt (oder lun­gert) ein Pu­bli­kum, das durch Klei­dung und Ha­bi­tus eher an die Be­su­cher von Tech­no­clubs denn an Kirch­gän­ger er­in­nert. „Post-Berg­hain Blues“ kom­men­tiert ein Be­su­cher der Face­book-Sei­te der Fried­hofs­ka­pel­le, „The Come Down“ fügt ein an­de­rer wis­send hinzu.

Den Her­un­ter­kom­men­den oder viel­leicht auch neu Be­kehr­ten wer­den daher in einem Ein­füh­rungs­vor­trag neben dem Sinn der Ar­beit auch die Ge­pflo­gen­hei­ten in einer Kir­che er­läu­tert: Bitte nicht trin­ken und rau­chen. Nach der An­spra­che er­he­ben sich schnell tä­to­wier­te Arme mit Smart­pho­nes, die das Er­leb­nis fest­hal­ten sol­len.

Doch ge­ra­de für Leute, die es ge­wohnt sind, sich die Welt mit dem Mo­bil­te­le­fon zu er­schlie­ßen, bie­tet die­ses Kunst­werk in ge­wis­ser Weise die ul­ti­ma­ti­ve Li­ve-Er­fah­rung, da sie letzt­lich nicht me­dia­li­sier­bar ist: Kein Foto und kein Video wird der tat­säch­li­chen Wahr­neh­mung wirklich ge­recht. Diese Form der Au­then­ti­zi­tät ist im Zeit­al­ter von Ins­ta­gram und Snap­chat nicht mit Gold auf­zu­wie­gen.

Ob sich die tran­szen­den­ta­len Er­fah­run­gen, die Tur­rell beim Pu­bli­kum aus­lö­sen will, bei den Zu­schau­ern tat­säch­lich ein­stel­len, ist schwer zu sagen. Nach einer Vier­tel­stun­de leert sich die Ka­pel­le lang­sam, aber man­che Be­trach­ter har­ren auch bis zum Ende der Licht­show aus.

„Post-Berg­hain Blues“, kom­men­tiert ein Be­su­cher die Erfahrung des Lichtspiels

Dem Be­trach­ter mit kla­rem Kopf mag die Licht­show von Tur­rell an einen Apho­ris­mus des ko­rea­ni­schen Vi­deo­künst­lers Nam June Paik er­in­nern: „Wenn zu per­fekt lie­ber Gott böse.“

Die Ne­on­far­ben wir­ken manch­mal, als würde man in eine Hö­hen­son­ne bli­cken, einen Be­richt­er­stat­ter des Ta­ges­spie­gels er­in­ner­ten die Farb­tö­ne an Was­ser­eis und Ber­li­ner Weiße mit Wald­meis­ter­si­rup. Den Him­mel stellt man sich ir­gend­wie an­ders vor.

An­de­rer­seits ist für viele je­doch das Berg­hain die welt­li­che Ver­si­on des Pa­ra­die­ses. Und da gibt es auch diese Magen­ta-Tö­ne in der Licht­show.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen