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„Sie finden mich toll und bodenständig“

KanuGoldmedaillenkandidat Sebastian Brendel erklärt, weshalb sein Sport trotz der vielen deutschen Erfolge nur so wenige Fans hat, was sich ändern muss und warum ihm die Wasserqualität in Rio egal ist

Interview Markus Völker

taz: Herr Brendel, ist alles in Ordnung mit der Lagoa dos Freitas?

Sebastian Brendel: Beim Testwettkampf vor einem Jahr war noch nicht alles okay. Es gab Algen und die Strecke war an einigen Metern nicht tief genug.

Nicht tief genug?

Sie war an manchen Stellen nur einen Meter tief, obwohl es drei Meter tief hätte sein müssen. Je flacher es ist, desto mehr bremst es. Das Wasser hier sieht schon manchmal komisch aus, rostbraun und so, aber mal ehrlich: Ich habe jetzt vier Jahre trainiert, um Olympiasieger zu werden, da ist mir die Wasserqualität eigentlich egal. Auch die Mücken sind mir wurscht.

Wurden diese Themen in den Medien Ihrer Meinung nach aufgebauscht?

Vor London und Peking gab es auch Probleme, die wurden dann gut gelöst. Ich will hier nur schnell paddeln.

In den vergangenen drei Jahren sind sie ungeschlagen geblieben. Mit ihrer Goldmedaille rechnet der Verband fest.

Sebastian Brendel

Der 28-Jährige aus Potsdam steigt in Rio als Olympiasieger, Welt- und Europameister ins Boot. Der Bundespolizist hat seit der EM 2013 kein großes Rennen über die 1.000-Meter-Strecke verloren. In London wurde er Olympiasieger im Canadier (C1), wo der Athlet im Boot kniet und ein Paddel durchs Wasser zieht. Brendel startet auch im C2 mit Jan Vandrey. Brendel hat 16 Goldmedaillen bei Großereignissen gewonnen.

Ja, von 2014 bis jetzt lief es gut für mich. 2013 bei der EM wurde ich nur Sechster und bei der WM im gleichen Jahr Zweiter. Danach ging der Knoten auf.

Sie sind am stärksten auf der 1.000-Meter-Strecke und lassen jetzt, im Gegensatz zu den Spielen in London, die 200 Meter aus. Warum?

Ich komme eigentlich von der 500-Meter-Strecke. Als Junior bin ich die gern gefahren. Zwischen 200 und 1.000 Metern ist der Spagat natürlich viel größer. 2012 in London wurden die 500 Meter gestrichen und dafür die 200 Meter olympisch. Andreas Dittmer (dreimaliger Olympiasieger aus Brandenburg; d. Red.) konnte noch 500 und 1.000 Meter fahren, das ging besser, weil sich die Distanzen ähnlicher sind.

Wie sind Sie zum Canadier-Paddeln gekommen?

Ich habe als Kind viele Sportarten ausprobiert. Beim Kanu bin ich dann hängen geblieben, weil es abwechslungsreich ist und man im Sommer draußen auf dem Wasser sein kann. Da fällt man auch ab und zu mal rein, das macht Spaß. Ich habe aber erst mit Kajak angefangen, und aus einer Laune heraus habe ich mal den Canadier probiert. Ich habe mich ganz gut angestellt, und in meinem Verein wurde noch ein Linksfahrer gesucht. Es gab einen Rechtsfahrer, und der konnte immer nur Einer fahren und nicht Zweier. So wurde ich Canadier-Fahrer.

Wie oft sind Sie am Anfang gekentert?

Das zählt man nicht, sehr oft. Man versucht zuerst, im Boot zu bleiben. Dann versucht man, geradeaus zu fahren. Und dann, mit den anderen mitzuhalten.

Wie lange haben Sie gebraucht, um mit dem Boot halbwegs zurechtzukommen?

Einen Monat braucht man schon, um das Boot fahren zu können. Damals war ich elf. Ich habe das als Herausforderung gesehen.

Wie gut sind Sie abgesichert als Kanute?

Ich bin angestellt bei der Bundespolizei, Polizeiobermeister, Beamter auf Lebenszeit. Das lässt mich in Ruhe schlafen. Wenn ich verletzt bin oder etwas anderes ist, dann kommt trotzdem monatlich das Gehalt. So habe ich nach dem Sport auch eine abgeschlossene Ausbildung. Außerdem gibt auch die Sporthilfe Deutschland und die Sporthilfe Brandenburg etwas dazu. Ich habe auch persönliche Sponsoren. Die finden, dass ich ein toller, bodenständiger Typ bin.

Bedauern Sie es, sich nur in der sportlichen Nische zu bewegen?

Deutsche Domäne

Der Sport: Der Kanu-Rennsport, der sich in die Bereiche Kajak und Canadier aufsplittet, gilt als das Rodeln der Sommerspiele, denn ähnlich wie in der Eisrinne gewinnen die Deutschen auf der Regattastrecke Medaillen sonder Zahl. „Wenn die Kanuten kommen“, sagt Verbandschef Thomas Konietzko, „dann verbessert sich Deutschland immer im Medaillenspiegel.“ Das freut den Deutschen Olympischen Sportbund.

Die Ausbeute: Sechs Medaillen in zwölf Disziplinen peilen die deutschen Kanuten in Rio an. Die Bilanz spricht vor den Finalläufen am Dienstag für die Paddler (ab 14 Uhr MESZ): Seit der Wiedervereinigung brachten sie immer mindestens ein halbes Dutzend Plaketten mit heim.

Das Format: Erstmals gibt es bei Olympischen Spielen sechs Wettkampftage. Das ermöglicht Doppelstarts. Die Weltmeister Marcus Groß/Max Rendschmidt zählen im Kajak-Zweier zu den Sieganwärtern wie die Olympiasiegerinnen von London, Franziska Weber/Tina Dietze im K2 der Frauen. Eine Medaillenchance hat auch Ronald Rauhe, der zum fünften Mal bei den Spielen dabei ist.

Ja, denn die Erfolge sind ja da. Das könnte medial breiter ausgeschlachtet werden. Aber die Strukturen im nationalen und internationalen Verband sind nicht so, dass mein Sport populärer und interessanter für die Zuschauer und die Medien werden könnte. Leider.

Inwiefern?

Wir bräuchten die Saison über mehr Wettkämpfe, die dann auch übertragen werden. Wir haben zurzeit nur drei Weltcups im Jahr, zudem EM und WM. Das ist zu wenig. Die Weltcups haben sich komplett im Mai abgespielt, und davon wurde nur einer übertragen.

Wo lief der denn?

Ich glaube, auf Eurosport oder es gab einen kleinen Beitrag im ZDF oder in der ARD. Wenn es übertragen wird, wundert man sich doch, dass die Einschaltquote sehr gering ist. Das Problem ist: Die Leute kennen die Sportler gar nicht, die da paddeln. Es muss eine persönliche Bindung zum Sportler hergestellt werden. Wer steht dahinter? Was sind das für Typen? Das muss erklärt werden. Nur so geht das.

„Wenn es ­übertragen wird, wundert man sich doch, dass die Einschaltquote sehr gering ist. Das Problem ist: Die Leute kennen die Sportler gar nicht, die da paddeln“Sebastian Brendel

Nach Ihrem Olympiasieg in London haben Sie keinen Schub gespürt?

Ich selbst habe alles gegeben. Ich habe viel probiert und alles wahrgenommen, was man wahrnehmen konnte. Aber wie gesagt: Es fehlen die Verbandsstrukturen. Bei den Weltcups fehlt es auch manchmal an professioneller Kameratechnik, um das medienwirksam zu übertragen. Selbst die Ruderer haben mehr zu bieten, etwa mit der Rotsee-Regatta. Dabei holen wir doch in Relation viel mehr Medaillen. Es fehlt so ein bisschen die Geschichte, die Tradition bei uns. Und das Marketing. Aber wir sind ja nicht allein: Wann hat man das letzte Mal außerhalb der Olympische Spiele Judo im Fernsehen gesehen? Ich kann mich nicht erinnern.

Oder eben Kanu.

Der Verband muss sich etwas einfallen lassen im Rennen um Aufmerksamkeit. Er muss den Medien und den Zuschauern etwas anbieten.

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