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Mittendurch – ganz schnell

DRECKMit Pragmatismus spricht der deutsche Segler Erik Heil über das verschmutzte Wasser vor Rio. Dabei hatte er sich dort schon aufgrund einer Infektion große Eitergeschwüre zugezogen

Aus Rio Markus Völker

Erik Heil fummelt an seinem Boot herum, irgendwie ist er noch nicht zufrieden. Es ist ein 49er, das zu den wackeligsten Einrumpfbooten im olympischen Segeln gehört. Heil kann es kaum erwarten, bis die Regatta in der Guanabara-Bucht von Rio losgeht. Er mag dieses Revier. „Hier herrschen krasse Bedingungen, ein starker Strom und sehr drehige Winde“, sagt er und kann sich in seiner Begeisterung kaum bremsen.

„Man hat hier bestimmt zehn verschiedene Konstellatio­nen, wie der Wind ist und wie die Wellenbewegungen sind. Es gibt zwar eine Software, die uns ein bisschen dabei hilft, die Strömungen einzuschätzen. Aber insgesamt ist das eines der anspruchsvollsten und schwierigsten Segelreviere der Welt.“ Und ein markantes. Rechts sieht man den Zuckerhut. Und unter dem olympischen Segelstützpunkt in der Nähe des alten Zentrums von Rio steigen Flugzeuge vom kleineren der beiden Stadtflughäfen auf. Es riecht brackig, aber es ist auszuhalten.

Dass er das Segeln in der Guanabara-Bucht geil findet, ist bemerkenswert, denn der Berliner, der mittlerweile in Hamburg und am Bundesstützpunkt in Kiel segelt, hat sich im vergangenen Jahr eine üble Infektion mit multiresistenten Keimen in der Bucht beziehungsweise in der Marina da Gloria, wo die Boote ins Wasser gelassen werden, eingefangen. An seinem Oberschenkel und der Hüfte wuchsen große Eitergeschwüre, die in einem Berliner Krankenhaus aufgeschnitten und ausgeschabt werden mussten.

Diesen Vorfall, der einem die olympische Vorfreude vergällen könnte, hat Heil mit dem Pragmatismus eines Leistungssportlers verarbeitet: Was vergangen ist, ist vergangen. Die Erinnerung an die Infektion möchte er nicht im Detail auffrischen, weil sie ihn abbringen würde von seinem Plan, hier mit seinem Segelpartner Thomas Plößel eine Medaille zu gewinnen. Im Vorjahr hat er noch kräftig an die Olympiaveranstalter appelliert, für sauberes Wasser zu sorgen. Und einen Ganzkörperschutz erwogen, um ja nicht mit den Wasser in Kontakt zu kommen.

„Aber dann muss man ihn halt anti­zipieren. Es gibt gute und schlechte Tage mit dem Müll“

Erik Heil

„Die Infektion war nicht schön“, sagt er heute. „Aber direkt drei Monate danach waren wir schon wieder hier und sind gesegelt. Verglichen mit anderen Revieren gab es hier deutlich weniger Probleme als anderswo“, behauptet Heil. Er nennt als Beispiel die Segel-Weltmeisterschaft vor Buenos Aires. An einem Tag mit starkem Wind, bei dem die Segler automatisch auch mal Meerwasser schlucken, klagten viele Segler über Magen-Darm-Beschwerden. „Da war erst mal die Hälfte des Feldes außer Gefecht.“ Und dann gab es im Meer noch viele Schlingpflanzen, auch ein Hinweis auf verschmutztes Wasser. Rio hat die Probleme also nicht exklusiv.

Tote Kühe im Wasser

Natürlich ist die Guanabara-Bucht ziemlich dreckig, weil Abwässer von mindestens einer Million Menschen hier ungeklärt hineinfließen und auch normaler Müll einfach im Wasser landet, aber Heil und sein Kompagnon haben ein Arrangement mit den schwierigen Bedingungen getroffen. Und das heißt: Mitten durch, am besten mit hoher Geschwindigkeit. Kollegen haben hier schon tote Kühe treiben sehen, und die deutsche Seglerin Annika Bochmann ist mal an einem Röhrenfernseher vorbeigeschippert, aber meist sind es nur Plastiktüten oder kleinteiliges Zeug, das hier schwimmt.

Steuermann Heil ist einmal, wie er sagt, auf einen „Timberland-Schuh“ mit hoher Geschwindigkeit draufgeknallt. Der Schuh bremste nicht nur die Fahrt des nur 94 Kilogramm schweren Bootes, die Crew hatte ganze schön zu tun, um das Boot auf Kurs zu halten. „Da überschlägt man sich fast, wenn man mit 50 Kilometer pro Stunde auf so einen Schuh drauffährt. Da senkte sich der Bug ins Wasser und wir sind nach vorne gefallen. Aber es ist nicht so, wie es in Horrorstorys in der Presse immer dargestellt wird: Hier seien 100.000 tote Kühe im Wasser unterwegs. Da gibt es andere Segelorte, die sind ein bisschen schlimmer.“

Hier zu segeln, das ist für den Berliner, der auf dem Tegeler See gelernt hat, das Wasser zu lesen, eine reine Einstellungsfrage. Klar, hier sei schon häufig sehr viel Müll im Wasser. „Aber dann muss man ihn halt antizipieren. Es gibt gute und schlechte Tage mit dem Müll. Manchmal ist gar nichts da. Manchmal aber, vor allem wenn es geregnet hat, haben wir mehr Probleme.“

Das Revier von Rio hat Heil „tendenziell eher lieben gelernt“, trotz des Müffelwassers. „Das Auge wird sehr gut geschult. Jedes Rennen, das man fährt, ist nicht mit dem ersten Schlag vorbei, sondern man kann immer zurückkommen.“ Das liegt an den besonderen Bedingungen. „Man hat hier einen Tidenhub von ein bis zu zwei Metern. Es muss also sehr viel Wasser durch die enge Bucht zum Meer hin. Da entstehen ganz krasse Strömungssituationen“, sogenannte Strömungskanten. Die müssen die Segler erkennen, sonst sind sie schnell abgehängt bei einer Wettfahrt.

Deswegen war Heil mit seinem Vorschoter in den vergangenen drei Jahren 72 Tage in Rio de Janeiro zum Segeln. Sie wollten sich optimal vorbereiten auf die schwierigen Bedingungen. Die Konkurrenz aus Österreich war sogar noch länger da, aber sie werden es trotzdem schwer haben gegen den Segelstar Peter Burling aus Neuseeland, der in Rio in der 49er-Klasse antritt und auf dem Katamaran in der olympischen Segelklasse Nacra 17. „Er ist der Überflieger, nicht nur in unserer Bootsklasse“, sagt Heil. „Der ist, wenn er normal performt, eigentlich nicht schlagbar. Der hat 24 Rennen hintereinander gewonnen.“

Der Deutsche möchte mit seinem Partner, mit dem er schon seit 15 Jahren zusammen segelt, irgendwo dahinter einkommen, „von Platz zwei bis acht ist alles drin“. Burling segelt auch im America’s Cup, im Team New Zea­land. „Der Typ ist unglaublich, hat ein außergewöhnliches Talent, ist auch ein bisschen autistisch veranlagt. Aber im Segeln ist er geil“, sagt Heil über den Konkurrenten.

Annika Bochmann, Seglerin in der 470er-Klasse, ist weit entfernt vom Bekanntheitsgrad eines Peter Burling. Mit Hingabe schrubbt sie den Rumpf ihres Bootes, als müsste auch der letzte Tropfen des Wassers aus der Guanabara-Bucht weggewischt werden. Im Hintergrund schleift ein Servicemann des deutschen Teams an einem Ruder, das von Treibgut leicht beschädigt wurde. Bachmann ist nicht so richtig happy über die Bedingungen in der Bucht, sie hätte es lieber gehabt, wenn man in ein sauberes Revier weiter südlich an der brasilianischen Ostküste ausgewichen wäre.

Müllboote ohne Erfolg

Dafür würde sie sogar das Erlebnis eintauschen, als Seglerin einmal mittendrin zu sein im olympischen Rummel. Sie hatte, als sie anfing mit ihrer Vorschoterin Marlene Steinherr die Bucht zu erkunden, eine Aversion gegen die Verhältnisse, aber auch sie machte notgedrungen ihren Frieden mit dem Wasser und dem darin treibenden Unrat. „Wir kennen die Bedingungen ja aus dem Training. Wenn man dann mal ’ne Tüte oder so was dranhat am Ruder, dann wird die abgemacht und weiter geht es“, sagt die Athletin.

Leider hätten es die Brasilianer in drei Jahren nicht hinbekommen, die Bucht sauberer zu machen, ärgert sie sich. Ein paar Müllboote, die den größten Siff beseitigen, lösten nun mal nicht das Grundproblem, die Einleitung von Abwässern, findet sie. Hat sie Angst vor so einer Infektion, wie sie Erik Heil erwischte? „Nein, wir sind gesund geblieben bisher, uns geht es sehr gut. Wir achten natürlich auf alles.“ Die Segelsachen werden jeden Tag ausgewaschen. Auf dem Boot gibt es Desinfektionsmittel für die Hände. Und ein Motto gibt es für den Kopf: „Wenn man sich selber verrückt macht, dann wird es auch nicht besser.“

Erik Heil findet, jetzt sei es auch mal gut mit den Fragen zur Wasserqualität. Er will Wettfahrten segeln. Genau hier. In der Guanabara-Bucht.

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