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Den Ernstfall will sich niemand ausmalen

Sicherheit Strikte Kontrollen und übereifrige Polizisten werden beim olympischen Auftakt zum Problem. Viele Brasilianer fürchten sich vor mangelnder Kompetenz der Sicherheitskräfte. Derweil werden Proteste durch ein Gesetz kriminalisiert

Die Sicherheitspolitik in Brasilien folgt einer Kriegslogik, das Volk ist der Feind

RIO DE JANEIRO taz | Die Sicherheit ist am ersten olympischen Tag das größte Problem. Nicht deren Mängel, sondern ein Übermaß an Kontrollen, Warteschlangen in sonniger Hitze und mangelnde Koordination der vielen unterschiedlichen Sicherheitskräfte. „Wir haben die Nationalgarde, Militärs, Polizisten und noch den privaten Sicherheitsdienst der Spiele“, zählt Kommunikationsdirektor Mário Andrada erschöpft auf.

Aufgrund der Wartezeit beim Einlass in den Olympiapark haben viele Zuschauer den Beginn der Wettkämpfe verpasst. Der Groll der Wartenden veranlasste schließlich viele Kontrolleure, die Vorschriften zu vergessen und die Taschen einfach nicht mehr zu durchsuchen. Andrada entschuldigte sich für die Pannen und versprach baldige Besserung.

Am Eröffnungstag war die Polizei nicht sonderlich gefordert. Die Eröffnungsparty im Maracanã verlief reibungslos, mal abgesehen von den gellenden Pfiffen für Übergangspräsident Michel Temer, die aber nur im Stadion richtig zu hören waren, denn die Fernsehübertragung filterte den politischen Unmut recht gelungen heraus. Dennoch sorgten Polizeieinsätze im Verlauf des Eröffnungstages für einigen Unmut.

Angespannt war auch die Stimmung beim Akt gegen olympische Menschenrechtsverletzungen am Nachmittag unweit des Maracanã. Nur einige Hundert Demonstranten kamen zusammen, darunter auch viele Vermummte vom sogenannten Black Bloc, der zu WM-Zeiten viel von sich reden machte. Bis auf einige Scharmützel verlief die Demonstration friedlich. Erst am Ende, als die Vermummten eine Brasilienfahne anzündeten, fühlten sich die Uniformierten gefordert: Mit Rauchgranaten räumten sie den Platz und trieben spielende Kinder, Eltern und Rentner in die Flucht. „Kein Wunder, dass der Groll auf die Polizei immer größer wird, sie sind einfach völlig unvorbereitet“, murmelte ein Passant kopfschüttelnd.

Es ist mangelnde Kompetenz, die vielen Brasilianern Angst macht. Als vor Wochen ein verdächtiger Koffer vor einer Schule mitten im Mittelklasseviertel Botafogo entdeckt wurde, dauerte es Stunden, bis die Sprengstoffprofis angereist kamen. Längst waren die fliegenden Händler eingetroffen, um die vielen Schaulustigen mit kühlen Getränken zu versorgen. Den Ernstfall wollte sich niemand vorstellen.

Andere sagen, das Problem der Polizei sei nicht Unfähigkeit, sondern dass sie als Unterdrückungssystem diene. Bei Polizeieinsätzen in Armenvierteln werden fünfmal mehr Menschen getötet als verletzt. Menschenrechtler prangern an, dass die Bevölkerung potenziell als Feind betrachtet werde, die Sicherheitspolitik also auf einer Kriegslogik beruht. Und dies wird so bleiben: Das soeben verabschiedete Antiterror-Gesetz befördert die Kriminalisierung von Protest und Unzufriedenheit. Terror, vor dem Brasiliens bislang komplett verschont wurde, wird dementsprechend schwammig gefasst.

Ende Juli sollte das Gesetz seinen Nutzen unter Beweis stellen. Erstmals wurde eine angebliche Terrorzelle ausgehoben. Elf Männer, die allesamt dem IS die Treue geschworen haben sollen, wurden festgenommen. Inzwischen gibt es allerdings immer mehr Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Aktion. Die Zeitschrift Carta Capital mutmaßt, es sei eher ein Manöver, um vor Olympia von politischen Problemen abzulenken. Die Justiz kommt langsam in Erklärungsnot.

Die vielen Millionen für den Sicherheitsaufwand sind übrigens nicht in den Kalkulationen mit eingerechnet, wenn von Offiziellen gesagt wird, dass die Spiele umgerechnet rund 10 Milliarden Euro kosten werden. Andreas Behn

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