Städte-Rankings sagen nichts. Allerdings kann das, was sie sagen, gefährlich sein: Kulturell abgehängt
AM RAND
Klaus Irler
Es passiert nicht selten, dass in Hamburg nichts passiert. Man merkt es daran, dass die Zeitungen und das Fahrgastfernsehen auf die Klassiker der Hamburg-Berichterstattung zurückgreifen. Dazu gehört die Rückkehr der Alsterschwäne aus dem Winterquartier und der Elefanten-Nachwuchs in Hagenbecks Tierpark. Und es gehören die Studien dazu, die regelmäßig veröffentlicht werden zu der Frage, welche die lebenswerteste Stadt sei, in Deutschland, Europa, der Welt.
Da stand ich also am Freitag in der U-Bahn und las: „Hamburg unter den Top Ten der lebenswertesten Städte.“ Man liest diese Erfolgsmeldungen immer wieder, weil es solche Studien oft gibt und in Hamburg nur die veröffentlicht werden, in denen Hamburg oben mit dabei ist. „Hamburg auf Platz 108 der beliebtesten Städte“ liest man wahrscheinlich eher in München oder Berlin, aber auch da nicht, denn was schert den Münchner schon Hamburg.
Die Studien, die so heißen, weil der Begriff „Studie“ weder definiert noch geschützt ist, werden gemacht von Firmen, die ihren Firmennamen mal wieder gedruckt sehen wollen. Das Rezept ist einfach: Brauchst Du Eigen-PR, dann machst Du eine Städte-Ranking-Studie und untersuchst so Sachen wie Kriminalitätsrate, Sicherheitsgefühl und Infrastruktur.
Wenn es weniger gut läuft, untersucht die Firma die Dichte an Klamottengeschäften und zieht daraus Rückschlüsse, welches die frauenfreundlichste Stadt Deutschlands ist. Das denke ich mir nicht aus, das ist wirklich geschehen: im Mai durch das Magazin Focus. Die Shopping-Gelegenheiten waren dann die „Fun-Faktoren“. „Harte Faktoren“ gab es in dieser Studie auch, der härteste Fakt aber war aus Hamburger Sicht: Platz 16. München hatte das Glück, dass dort die Focus-Redaktion sitzt. Ergebnis: Platz sechs.
Aber selbst wenn seriöse Institute solche Studien machen würden, ginge ihre Aussagekraft gegen Null, weil der Einzelfall immer anders aussieht. Was hilft es, in der lebenswertesten Stadt des Planeten zu leben, wenn man Liebeskummer hat? Oder keine Freunde?
Ich muss bei den Rankings immer an Orpheus und Eurydike denken. Orpheus, so will es der Mythos, geht in die Unterwelt, um seine verstorbene Liebe Eurydike zurück ins Leben zu holen. Hades, der Gott der Unterwelt, erlaubt ihm die Rückführung nur unter der Auflage, dass Orpheus sich nicht umdrehen darf zu Eurydike beim Weg nach oben. Tut er das, muss Eurydike für immer unten bleiben im Reich der Toten.
Eurydike aber steht da und fragt: „Wo willst Du hin mit mir?“ – Er: „Nach Hamburg!“ – Sie: „Nein, da sind die Bildungschancen nur mittel. Lass uns nach Melbourne gehen. Die sind im Ranking auf Platz eins, noch vor Wien!“ Orpheus sagt: „Wien ist schlecht bei Umwelt“, und dreht sich um. Das war’s. Seitdem ist Wien bekannt für seine Freude am Morbiden. Und Hamburg ist kulturell abgehängt.
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