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Mammon Martin Mosebachs Marokko-Roman „Mogador“: Manager mit massivem Mitwissermakelmacht MistMänner mit Marzipanhaut

Ihre Gesichter, ihre Körper: in den Straßen der Stadt Essaouira, die früher Mogador hieß Foto: Guido Cozzi/Schapowalow

von Tim Caspar Boehme

Ein junger Mann hat sich an die Atlantikküste Marokkos verirrt. Von Düsseldorf führte ihn seine Reise zunächst zum Flughafen von Brüssel, weiter nach Casa­blan­ca und schließlich in die Hafenstadt Essaouira, die hier noch auf ihren alten Namen Mogador hört. Dort besucht er einen Hammam, denn es ist Januar und ihm ist kalt in seinem eleganten Anzug. Nachdem er gründlich abgeschrubbt und wieder aufgewärmt ist, sucht er sich eine Unterkunft. Geld hat er vorläufig genug, Zukunft, wie es scheint, nur begrenzt.

In seinem Roman „Mogador“ lässt der Schriftsteller Martin Mosebach die Dinge wie in einem Wirtschaftskrimi anlaufen. Patrick Elff, so heißt der junge Mann, wird als aufstrebender Bankmanager vorgestellt, der sich nach dem Selbstmord eines Mitarbeiters seiner Abteilung von der Justiz verfolgt glaubt. Der Mitarbeiter beschäftigte sich bevorzugt mit der Konstruktion unübersichtlicher Beteiligungsgesellschaften, die undurchsichtigen Zwecken dienten. Elff hatte davon erfahren.

Nach einer Vorladung bei der Polizei ergreift Elff kurzentschlossen die Flucht ins Ausland. Während sein Protagonist äußerlich im Bewegungsrausch ist, seziert Mosebach dessen Innenleben und vor allem das komplizierte Verhältnis zu seiner Frau so anschaulich, dass man die restliche Handlung fast aus dem Blick verliert.

Man erlebt einen Getriebenen, der sich stets den Anforderungen und Erwartungen anderer ausliefert, in erster Linie denen seiner Frau Pilar. Die stammt aus reichen Verhältnissen und weckt in dem solide aufgewachsenen Patrick Elff den Wunsch, sich als finanziell ebenbürtig zu behaupten. Doch auch die mächtigen Geschäftspartner der Bank haben den Ehrgeiz des promovierten Romanisten geweckt, der auf Umwegen zum Geldgeschäft gefunden hat.

Nimmt man die Manierismen in Kauf, wird man mit den Figuren belohnt

Alle Menschen, die in „Mogador“ in Erscheinung treten, schildert Mosebach mit der ihm eigenen sprachmächtigen Plastizität. Man staunt über die präzisen psychologischen Innenschauen, mit denen er nicht nur die Eigentümlichkeiten der Ehe von Patrick und Pilar Elff beschreibt, man sieht ihre Gesichter, ihre Körper, ihre Kleidung nahezu vor Augen, meint, ihren Körpergeruch wahrnehmen zu können.

Bei Frauenkörpern, spätestens bei denen der Marokkanerinnen, kommt unangenehmerweise ein ausgeprägter Hang zur eingehenden Betrachtung von Hinterteilen hinzu. Anfangs wirkt das bloß wie die Begleiterscheinung eines der Fülle der Erscheinungen zugewandten Blicks, entpuppt sich aber zunehmend als literarisches Wüten von Altherrenfantasien. Ein weiterer angestrengter Zug von Mosebachs Prosa ist die Neigung zu gesuchten Sprachbildern und Bildungsschmankerln, die als Aper­çus dargeboten werden, sich oft genug jedoch bloß in ausgestellten Wissensversatzstücken erschöpfen.

Nimmt man derlei Manierismen in Kauf – Mosebach schreibt wieder konsequent „Sopha“ oder „Bankerott“ –, wird man mit einer an gesellschaftlichen Beobachtungen reichen Geschichte belohnt. Patrick Elff ist dabei nicht die einzige Figur, der Mosebach seine geneigte Aufmerksamkeit widmet. Im zweiten Teil des Buchs verschwindet der sogar vorübergehend aus dem Buch, um Platz für seine Wirtin Khadija zu machen.

Khadijas Werdegang hat auf den ersten Blick wenig mit der Geschichte von Patrick Elff zu tun. Aus ärmlichsten Verhältnissen stammend, wird sie jung verheiratet, zweimal Witwe – ihre beiden Männer fahren zur See und verbleiben dort –, bis sie ihr Talent zur Prostitution entdeckt. Von da an nimmt die willensstarke Khadija ihr Geschick selbst in die Hand: Neben der diskret betriebenen Zuhälterei bewährt sie sich auch als Geldverleiherin.

In diesem Punkt berühren sich die Geschäftsfelder Elffs und Khadijas und ihre Antriebe – beide sind vom Geld beherrscht –, doch auch in einer anderen Hinsicht werden diese zwei verschiedenartigen Figuren von Mosebach indirekt eng geführt. Beide verfügen über eine lebhafte Fantasie. In Patrick Elffs Fall führt dies häufig zu Projektionen über seine Mitmenschen, die ihn nicht immer die richtigen Schlüsse ziehen lassen. Mosebachs Ironie lässt Elff dabei unbewusst meistens das Richtige tun, wenngleich aus den falschen Gründen.

Khadija hingegen ist schon früh überzeugt, dass sie mit ihren Gedanken den Lauf der Dinge beeinflussen kann. Vor allem verfügt sie über die Gabe der Vorsehung. Dieses Talent nutzt sie gewinnbringend zu Zwecken der Hellseherei und der Dämonenaustreibung. In diesem Punkt rührt „Mogador“ an die arabische Märchenwelt mit ihren Dschinn, die hier Dschunat heißen.

In dieser Gegenüberstellung von Patrick und Khadija scheint es Mosebach vornehmlich um konträre Formen des Umgangs mit dem Schicksal zu gehen. Während Elff auf den Wendungen des Zufalls surft und mit seinem Opportunismus gar nicht schlecht fährt, setzt Khadija alles daran, das Schicksal herauszufordern und zu ihrem größtmöglichen Nutzen zu instrumentalisieren. Das ergibt am Ende weniger ein moralisches Lehrstück als ein intellektuell-sinnliches Vergnügen, dem man sich gern hingibt. Und dem Autor selbst Männer mit „Haut wie schokoladebestäubtes Marzipan“ durchgehen lässt. Aber mit hochgezogener Augenbraue.

Martin Mosebach: „Mogador“. Rowohlt Verlag, Rein-bek 2016. 368 Seiten, 22,95 Euro

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