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Fernsehen Sender wollen ihr Publikum individuell bedienen – mit lernfähigen Mediatheken à la Netflix

von Daniel Bouhs

Manchmal verstecken sich Neuigkeiten in abseitigen Magazinen. ARD-Programmdirektor Volker Herres zum Beispiel hat im Mitgliederheft des Rotary-Netzwerks über die Zukunft des Fernsehens philosophiert. Herres verwehrte sich – wie üblich – vor allem der hartnäckigen These, das klassische Fernsehen sterbe: „Die Internetnutzung, die nonlineare Nutzung, kommt on top auf die bisherige Mediennutzung.“

Eher nebenbei deutete der Chef des Ersten Programms schließlich an, dass die ARD ihre diversen Mediatheken bündeln wolle. Außerdem solle das Publikum in die Lage versetzt werden, das Angebot zu personalisieren: „Wer etwa oft Krimis online abruft, erhält dann gezielte Hinweise auf ähnliche Filme. Wer sich vorwiegend für politische Sendungen interessiert, bekommt weitere politische Sendungen empfohlen.“

Das klingt nach der raffinierten Technik von Netflix: Der US-Dienst wertet, minutiös wie kein anderer, das Verhalten seiner Nutzer aus: Welche Filme und Serien haben sie gesehen und wie lange haben sie dabei durchgehalten? Der Algorithmus spuckt dann passende Inhalte aus. Wer netflixt, weiß: Das funktioniert oft erschreckend gut – und hält das Publikum oft länger auf dem Sofa, als der Arzt erlaubt.

Sender, die nach diesem Vorbild ihre Mediatheken pimpen wollen, haben zwei Möglichkeiten. Die einfache Variante ist, das Publikum zu bitten, händisch Lieblingssendungen und -genres zu markieren. So macht das seit diesem Frühjahr die Mediengruppe RTL Deutschland in ihrem Angebot „TV Now“. Technisch aufwändiger und heikler ist ein Programm, das selbstständig lernt. Auch hier tastet sich die Mediengruppe RTL vor.

„Je aktueller Inhalte sind, desto wichtiger sind natürlich auch redaktionelle Vorschläge“, sagt Robert Dube, der für die Gruppe die Abrufangebote ausbaut. Mit der Erweiterung „TV Now Plus“, die zusätzlich zu aktuellen Sendungen auch auf das Archiv zurückgreift, würden automatisierte Vorschläge interessanter. „Wir haben die Technologie dafür schon implementiert, gehen hier aber erst noch kleine Schritte. Wir wollen sehen, was wirklich Mehrwert bietet.“

Datenschutz-„sensibel“

ARD-Programmdirektor Herres präzisiert auf Nachfrage, in der künftigen ARD-Mediathek solle beides möglich sein: „Der Nutzer kann sich seine Schlagwörter, Lieblingsrubriken, Playlisten und Favoriten selber zusammenstellen und bekommt auch – wenn gewünscht – passende Videos angeboten.“ Datenschutzaspekte würden dabei „selbstverständlich sensibel berücksichtigt“, was im besten Fall heißt: Nutzer werden aufgeklärt und gefragt, ob die Mediathek sie auch beobachten darf.

Netflix wertet aus, was Nutzer sehen und wie lange sie dabei durchhalten

Wann die personalisierbare und lernfähige ARD-Mediathek startet, könne er derzeit nicht sagen, sagt Herres. Robert Amlung, der Digitalstratege des ZDF, ist da weiter: Mit dem nächsten Update der ZDF-Mediathek gegen Ende Oktober soll es so weit sein. „Das wird kein Big-Bang“, sagt Amlung, „aber neben der Personalisierbarkeit werden wir dann auch schon die Grundtechniken für die Lernfähigkeit der Mediathek an Bord haben.“

Die Mainzer wollen das Netflixartige dann mit den nächsten Updates „schleichend“ ausbauen. Amlung, der direkt in der Intendanz arbeitet, verspricht sich davon viel. Er sagt aber auch: „Wir werden auch nach dem Ausbau immer eine Mischung aus individuellen und redaktionellen Vorschlägen anbieten.“ Dass Journalisten einzelne Beiträge herausstellten, sei „gerade bei öffentlich-rechtlichen Angeboten wichtig“.

In München sieht man das allerdings auch beim Privatfernsehen so. Die ProSiebenSat.1-Tochter Maxdome, die ein deutsches Netflix sein will, hat anfangs vor allem auf einen Algorithmus gesetzt, der sich bis heute wiederum vor allem auf die Abrufe und Bewertungen aller Nutzer stützt. Mitte April aber haben sich die Maxdome-Macher für ein Modewort der Szene entschieden: Sie wollen „kuratieren“. Seit gut 100 Tagen schlägt bei Maxdome – zusätzlich – auch eine Redaktion Inhalte vor. Und siehe da: Inhalte, die die Redaktion herausstellt, werden durchschnittlich 70 Prozent häufiger aufgerufen. „Wenn ein Titel erst mal aus ‚Meistgesehen‘ oder ‚Neu‘ verschwunden ist, dann gibt es – außerhalb einer gezielten Suche – kaum Möglichkeiten, einen Titel zu entdecken“, sagt Maxdome-Chef Marvin Lange. Er wolle deshalb auch künftig das Vorschlagswesen nicht allein einer vermeintlich schlauen Software überlassen. Damit ist er in der TV-Landschaft nicht allein.

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