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Frank und freiim Spiel mit dem Bass

JAZZVon Nürnberg nach Berlin: Maike Hilbig hört bei ihrer Musik auch auf den Bauch. Am Samstag spielt sie mir ihrem Trio Vorwärts Rückwärts beim Jazz an der Lohmühle

von Franziska Buhre

Einen Gang zurückschalten und gleichzeitig vorneweg hüpfen, die zurückgelehnte Haltung auf der Parkbank einnehmen oder in gelegentlichem Stolpern den rhythmischen Tritt voran finden – die Musik des Trios Vorwärts Rückwärts ist rege zu Fuß und entspannt auf den Beinen, schlägt bisweilen Haken querfeldein und bringt Kontrabass, Cello und Posaune zur Einkehr wieder auf eine gemeinsame Bahn.

Unverkennbar ist das Trottoir, welches Maike Hilbig, Johannes Fink und Gerhard Gschlößl in Bewegung versetzt, das schroffe, geliebte, abweisende, verlockende Pflaster in Berlin. Vor drei Jahren hat die Kontrabassistin Maike Hilbig das Trio gegründet, alle drei schreiben eigene Stücke für die ungewöhnliche Besetzung oder arrangieren sie in diesem Format neu.

Das Debütalbum von Vorwärts Rückwärts erschien in diesem Jahr auf dem von Gschlößl gegründeten Label Trouble In The East Records. Die zwölf Songs sind forsch und verschmitzt, mal zerbrechlich, mal lässig, zum Mitschnipsen oder eigenlogisch uneben. Sie klingen nach Gefühlen, die im alltäglichen Vergnügen und Hadern mit dem Leben in der hiesigen Stadt aufsteigen.

So macht sich beim Hören etwa die leichte Trübsal bemerkbar, die beim Anblick kahler Bäume und Fassaden in eisiger Winterluft unter einer immergrauen Wolkendecke anklopft, aber auch die beseelte Stimmung bei einem letzten langsamen Schwof in der Kneipe am frühen Morgen. „Bei uns kann in jedem Moment alles passieren“, erzählt Maike Hilbig am Telefon in ihrer Heimatstadt Nürnberg, wo sie hin und wieder zu Besuch ist und auch auf der Bühne steht. „Ich kümmere mich musikalisch und halte alles zusammen. Als Bassist kann man immer nur so weit gehen, wie die anderen es zulassen.“

Jazz an der Lohmühle

Maike Hilbig spielt mit ihrem Trio Vorwärts Rückwärts am Samstag bei der Abschlussrunde des diesjährigen „Jazz an der Lohmühle“, der sommerlichen Konzertreihe für so unterhaltsamen wie avancierten Jazz in der Wagenburg Lohmühle an der Lohmühlenstraße. Am Samstag spielen dazu Parrot’s Feathers und das Nikolaus Neuser Quintett, Start ist um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Eingerichtet ist dieser Spielplatz für den freigeistigen und prinzipiell neugierigen Jazz vom Jazzkeller 69, der seine sonstigen Konzerte übers Jahr vor allem im Aufsturz, Oranienburgerstraße 67, veranstaltet. Dort gibt es am 2. September ein Benefizkonzert für den im Mai verstorbenen Posaunisten Hannes Bauer.

Da Kontrabass, Cello und Posaune ähnliche Tonlagen haben, kann jedeR im Trio hervortreten, begleiten oder eine Melodie anstimmen. Wann Hilbig den Bass zupft und Fink den Cello­bogen zur Hand nimmt, wer von beiden den Rhythmus beibehält oder ein Zwiegespräch mit der Posaune beginnt, ist manchmal gar nicht auszumachen und eine verspielte Einladung, die wechselnden Rollen der Ins­tru­mente neu zu entdecken.

Auch Johannes Fink ist ein Franke, er stammt aus der Nähe von Erlangen, der Posaunist Gerhard Gschlößl ist nahe Landshut geboren. „Beim Humor kommen wir gut zusammen“, meint Hilbig. Vielen Stücken ist dieser gewisse Schalk im Nacken anzuhören, etwa wenn Fink und Gschlößl zu Kapriolen ansetzen und das Tempo anschließend wieder drosseln. „Die Stücke sollen nach der Band klingen. Deshalb arbeite ich gern mit Musikern zusammen, die was draus machen. Meine Stücke entstehen aus dem Bauch heraus, durch Zufälle, Stimmungen, Fehler und Elemente, die ich anderswo gehört habe und dann filtere“, sagt Hilbig.

Ihre eigene Sprache auf dem Kontrabass fand sie nach einem Jahr Studium auf dem E-Bass sofort. An der Hochschule Nürnberg-Augsburg war Hilbig die einzige Bassistin, im Rückblick sieht sie die Lehre dort kritisch: „Ich habe gemerkt, dass ich eher Individualist bin und nicht jemand, der irgendwelche Stilistiken bedient und Handwerker am Instrument ist. Auf die Art von Motivation zu Ellenbogenmentalität und Konkurrenzdenken bin ich nicht angesprungen. Meine Stärken lagen anderswo.“

„Beim Humor kommen wir gut zusammen“

Maike Hilbig über ihr Trio

Bassisten sind gefragt, und so spielt die heute 35-Jährige nach dem Studium in einer Reihe verschiedener Ensembles, zum Beispiel im Sunday Night Orchestra oder in kleinen Besetzungen mit der Multiinstrumentalistin Bettina Ostermeier.

Nach Berlin zieht Hilbig 2005, hier beginnt sie, zu komponieren und frei zu improvisieren. In der Theaterproduktion „Die Boheme am Kottbusser Tor“ steht sie 2007 im Festsaal Kreuzberg auf der Bühne, danach wirkt sie in Musical- und Schauspielproduktionen in Bamberg und am Staatstheater Nürnberg mit, an dem Bettina Ostermeier seit 2009 die Schauspielmusik verantwortet. Im Dezember hat dort die Inszenierung von „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ Premiere, Maike Hilbig spielt darin erstmals Solo-Kontrabass und nimmt diese Gelegenheit zum Anlass, an einem Soloalbum zu arbeiten.

Seit einem Jahr kuratiert sie die Jazz-Konzertreihe im Café Niesen in Prenzlauer Berg und lädt dafür MusikerInnen ein, die zeitgenössischen Jazz komponieren. Im Duo Matsch und Schnee mit der Saxofonistin Silke Eberhard widmet sie sich hingegen beherzt den freien und sperrigen Klängen.

Vorwärts Rückwärts: „Vorwärts“ (Trouble In the East Records)

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