Saubere Legendenbildung

SOMMERTHEATERDie freie Gruppe Cosmos Factory bringt das Lebendes Amrumer Seefahrers Hark Olufs auf die Bühne. Heraus kommt statt einer spannenden Geschichte um Emigration und Integration aber abenteuerseliges Reisetheater

Allzu gepflegt sind nicht nur die Köstüme zur Geschichte vom Hauen und Stechen im 18. Jahrhundert: Sonja Hurani und Oliver Peukert  Foto: Sonngard Schneider

von Jens Fischer

Auf Amrum ist er eine Legende, längst per Dauerausstellung musealisiert. Sein ehemaliges Wohnhaus in Süddorf gilt als Attraktion friesischer Baukunst. Badegäste schmökern Historien-Romane, die reichlich Seemannsgarn um sein heroisches Dasein spinnen. Und Spökenkieker frönen vor Ort gruselromantisch einer Wiedergänger-Sage um seine Person. Touristenziel ist der Ort, an dem der Leib des 46-jährig Verstorbenen beerdigt wurde. Aber jenseits der winzigen Insel südlich von Sylt kennt ihn keiner: den zum Seebär gewordenen Reedersohn Hark Olufs.

Abenteuerliches Leben

Dabei müssten Hollywoods Haudegen-Schönlinge doch Schlange stehen für diese Rolle, Weihnachtsmehrteiler-Regisseure des deutschen Fernsehens längst die Rechte geankert haben, um Hark Olufs’ „Besynderlige Avantures“ zu verfilmen. So ist die autorisierte, von einem Ghostwriter auf Dänisch verfasste Autobiografie betitelt.

Oliver Peuker, Theatermacher im Teufelsmoor und Chef seiner 1999 gegründeten Cosmos Factory, hatte bereits 2003 im Kurzurlaub auf dem strandreichen, deswegen auch mal Sandkiste genannten Eiland ein steinernes Geschichtsbuch entdeckt. Olufs’Vermächtnis ist einer der 170 „sprechenden Grabsteine“ auf dem VIP-Friedhof in Nebel, wo sich der Geldadel unter bis zu zwei Meter hohen, teilweise aus dem Weserbergland herangekarrten Gedenksteinen begraben ließ.

Steinmetzkünstler haben sie reich verziert und die jeweilige Lebensgeschichte hineingemeißelt. „Hier liegt der grosse Kriegsheld“: Gekrönt von Säbel, Bogen, Köcher, Kreuz, Standarte, Reichsapfel und Krone beginnt so Olufs’gottesfürchtige Mär vom Grenzgängerdasein zwischen süßlich verbrämtem Orient und herber Nordsee.

Peuker war fasziniert. Fand aber zuerst keine Zeit für den Stoff. Und ist nun dankbar, dass ihm kein Profi zuvorgekommen ist. Jetzt produzierte, schrieb, inszenierte und spielt er selbst „Hark Olufs“. Uraufführung war dort, wo sonst Tanzabende und Hochzeiten stattfinden: in der schnieke rustikal restaurierten Bötjerschen Scheune in Worpswede.

Ein Ambiente, das Peuker überinspiriert zu haben scheint. Auf einer Spielfläche zwischen gegenüberliegenden Zuschauerreihen schmückt er den Ort mit angemessenen Requisiten: gülden funkelnde Schatztruhe, kostbar anmutende Paravents, selbst die Kostüme wirken wie soeben für den Laufstegeinsatz geschneidert. Alles sehr gepflegt hier. Dabei geht ums wenig gepflegte Hauen und Stechen des 18. Jahrhunderts.

Sidekick für Olufs

Sonja Hurani, Hamburgerin mit tunesisch-palästinensischen Wurzeln, kommt als Nachtwächterin auf die Bühne, will erhellend wirken. Plaudert sogleich vom 15-jährigen Hark, der 1724 auf dem Handelsschiff „Hoffnung“ unterwegs gewesen und „auf den Kampfplatz der Weltpolitik geraten“ sei – „mitten hinein in einen Jahrhunderte dauernden Glaubenskrieg“ zwischen der christlichen und islamischen Welt. „Immer das gleiche Spiel. Machtspiele! Aber der Einsatz waren Menschen, Männer, Frauen und Kinder. Niemand hatte sie gefragt, ob sie das grausame Spiel mitspielen wollen.“ Soweit der kritische Prolog.

Nun holt Hurani das Objekt der Neugierde auf die Bühne: Peuker als Käpt’n Olufs. Deutet an, ganz viele Fragen zu ganz vielen Lücken in der historischen Überlieferung zu haben. Kommt in den folgenden 90 Minuten aber nie in den Dialog, nie in die Auseinandersetzung mit dem Stoff aus heutiger Sicht. Ist selten Moderatorin zwischen theatraler Recherche und Publikum, sondern zumeist Stichwortgeberin und Sidekick für Peukers Olufs-Darstellung.

Sie spielt, etwas überfordert von ständigen Rollenwechseln, finstere Freibeuter der Meere, noch finstere Sklavenhändler, edelmütige Herrscher, verführerische Prinzessinnen, Souk-Händler, Muezzin, treue Gattin und barmenden Vater. Denn Olufs’ schwer beladener Segler wird auf der Heimfahrt von Nantes nach Hamburg im Ärmelkanal gekapert von Piraten, den berüchtigten Korsaren. Nicht nur die Ladung und das Schiff galten als Gewinn dieser kapitalistischen Transaktion, das Geschäftsmodell bezog auch das „weiße Gold“ mit ein, die Besatzung.

Geschätzt wird, dass über eine Million Europäer derart gefangen genommen und in die muslimischen Stadtstaaten Nordafrikas verschleppt wurden. Bis Lösegeld floss – oder eben nicht. Dann erfolgte der Verkauf des Humankapitals auf den Sklavenmärkten.

1.000 Lübische Mark seien für Olufs erzielt worden, erzählt der gefesselte Peuker. Er gibt die Figur mit seiner sonor verrauchten Hörbuchstimme von Beginn an als selbstbewussten Gewinner aus. Feiert seine Kämpfe in Zeitlupe. Kriecht berechnend devot als dienstbeflissener Lakai vor dem Käufer seiner Dienste, dem Herrscher der heutigen algerischen Stadt Constantine. Steigt mit geradezu preußischem Arbeitseifer zum Scharfrichter und Schatzmeister auf, jobbt nebenher als Spion, wird Kommandant einer militärischen Eliteeinheit, schließlich General des Reiterheeres – und Eroberer von Tunis.

Als Dank erhält Olufs seine Freiheit zurück. Nach zwölf Jahren kehrt er als reicher Mann auf seine Vaterinsel heim, heiratet, wird Strandvogt – und nebenbei fünffacher Vater. Dass er in seiner Abwesenheit an einer Pilgerfahrt nach Mekka teilnahm ist verbürgt. Obwohl Olufs bestritt, zum Islam übergetreten zu sein, lässt Peuker ihn offiziell Moslem werden. Ob dies strategisch oder aus Überzeugung geschah, lässt er offen.

Integrationsprobleme

Szenisch immerhin angedeutet werden Integrationsprobleme. Flucht und Vertreibung einmal andersherum hat Olufs ja erlebt, erst Fremdsein als Zwangsemigrant, dann karrierefuriose Assimilation – und kritisch beäugte Reintegration. Als seine zukünftige Ehefrau vor der Heirat schwanger wird, lässt Peuker den Pastor das als Lümmelei bezeichnen. „Er ist doch ein Türk“, heißt es vorurteilsvoll.

Der Abend reiht solche Anekdoten aneinander. 90 Prozent des Textes entsprächen dem aktuellen Forschungsstand, behauptet Peuker, der sich diesbezüglich mit dem Olufs-Fachmann Martin Rheinheimer abgestimmt hat. Aber aus dem spannenden Verhältnis von Fakten und Fiktion wird eher eine szenische Lesung abenteuerseliger Reiseliteratur.

Mi, 17. 8., bis So, 21. 8., 20 Uhr, Worpswede: Bötjersche Scheune; Fr/Sa, 26./27.8. + Fr/Sa, 2./3. 9., Bremerhaven: Pferdestall