Erzählungen Am Queue entlangschauen, den Möwen lauschen: Stefano Benni verdichtet psychologische Kämpfe. „Die Pantherin“
: Billard als Metapher

Den Oberkörper leicht vorgebeugt, das Queue in der Hand, den Blick auf der Suche nach dem optimalen Anstoßpunkt. Je nach individueller Neigung kann Augenkontakt mit den Umstehenden aufgenommen oder Bedeutsames à la Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel verkündet werden. Dann: tief durchgeatmet und das Queue mit Schmackes gegen die Kugel gepfeffert – und noch mal tief durchgeatmet: Das grüne Tuch hat keine Risse davongetragen!

Selbst wer diese Situation nicht kennt, dürfte rasch dem Zauber erliegen, der von der Geschichte „Die Pantherin“ ausgeht. Sie spielt im Billardsalon Tre Principi, irgendwann in den 1960er Jahren. Die Welt hat noch nie von Prince gehört, aber Stammgast Tamarindo trägt stets violetten Samt und rosa Krawatten. Und bei Chiquita weiß niemand mehr so recht, ob Mann oder Frau das Queue schwingt. Die blinde Autorität im Salon, Borges, hat dafür nur einen Kommentar übrig: „Schaut nicht, wie er aussieht“, schärft er allen ein, „sondern wie er spielt.“

Spiel als Metapher der Aus­ein­andersetzung zweier Persönlichkeiten, die in diesem Duell die eigenen Abgründe, Stärken und Schwächen erkunden, ist nicht neu. Meist hält Schach her, doch auch Billard ist beliebt. Benni lässt seinen Ich-Erzähler in der Rückschau berichten. Die titelgebende Pantherin, eine legendäre Spielerin ganz in Schwarz, ficht ihr entscheidendes Duell gegen einen Engländer aus. Durch eine raffinierte Technik der Aussparung gelingt es Benni, den psychologischen Kampf derart zu verdichten, dass man meint, weit mehr als die eigentlichen 55 Seiten gelesen zu haben.

Von den Smaragdseen der Billardtische zum Meer bei Sardinien. Die zweite Story, „Aixi“, personal erzählt, könnte auch „Das junge Mädchen und das Meer“ betitelt sein. Der Clou ist hier, dass das vermeintlich rückständige Sardinien „hundert Jahre moderner“ daherkommt als die Stadt der Pantherin, ist man doch mittlerweile bei Handy und Schminke angelangt. Auch hier ist das Ende offen, ein verbindendes Moment zur ersten Geschichte: Es ist nie zu spät oder zu schwer, sich selbst neu zu erfinden. Aber vielleicht, und hier ließe mit dem Leoparden eine andere Großkatze grüßen, bleibt am Ende trotz aller Veränderung alles beim Alten.

Wer bereits mehr von Benni gelesen hat, wird bemerken, dass eine gewisse Melancholie hier stärker ausgeprägt ist als in anderen Texten. Das ist nicht der bittere Satiriker, der noch in der Erzählung „Papa kommt ins Fernsehen“ die Exekution des Familienoberhaupts als Liveübertragung und Popcorn­erlebnis gestaltet hat.

Die Pantherin, eine legendäre Spielerin ganz in Schwarz, ficht ihr entscheidendes Duell aus

Der 1947 in Bologna geborene Stefano Benni ist in Italien eine echte Größe, dankenswert, dass Wagenbach ihn pflegt. Der nicht leicht zu übersetzende Autor hatte immer das Glück, gute Übersetzer und Übersetzerinnen zu haben, so auch Mirjam Bitter. Nach wie vor können Bennis Figuren Ovid-Zitate genauso knatternd ablassen wie ihre Furze, nach wie vor wird aus der italienischen Trivialliteratur zitiert. Tremal-Naik klingt einfach gut für einen Billardspieler – man muss gar nicht wissen, dass er nach einer Figur aus einem Abenteuerroman Emilio Salgaris benannt ist, der wiederum als italienischer Karl May gilt.

Vielleicht ist Benni in seinen Erzählungen sogar noch besser als in seinen Romanen. Die „Pantherin“ und „Aixi“ treten zudem in einen spannungsreichen Dialog. In diesen kann man sich einmischen, mit eigenen Überlegungen zu Einsamkeit, Selbstfindung und Zielen. Man kann sich aber auch, in Gedanken bereits bei der Pantherin, in die Szenerie hineinsinnen und es mit dem Ich-Erzähler halten, streckt dieser sich doch „auf einem der ältesten Billardtische aus, blies Rauch himmelwärts zur Milchstraße der Lampen und träumte davon, sie zu treffen“. Oder man kann wie Aixi den Möwen lauschen, die dar­über diskutieren, „was besser ist: ein Fisch oder eine schön volle Mülltüte“. Christiane Pöhlmann

Stefano Benni: „Die Pantherin“. Aus dem Italienischen von Mirjam Bitter. Wagenbach, Berlin 2016, 96 Seiten, 15 Euro