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Die Ge­schich­te um­krei­sen

Er­in­ne­rung Der Mau­er­rad­weg ver­mit­telt einen Ein­druck von der Monströsität der einst 160 Kilometer langen Grenzumklammerung. Doch auch mehr als 25 Jahre nach dem Fall der Mauer hat er Lü­cken. Wie kann die Tou­ris­ten­at­trak­ti­on dau­er­haft ge­si­chert wer­den?

55 Jahre nach dem Mauerbau: ganz entspannt unterwegs auf dem Berliner Mauerweg bei Lübars Foto: Gerhard Westrich/laif

von Bert Schulz

Manch­mal ist die Er­in­ne­rung an die Ber­li­ner Mauer wirk­lich schwie­rig: Etwa, wenn Bord­stein­kan­ten noch zu hoch sind, als dass Rad­ler lo­cker dar­über hin­wegfah­ren könn­ten. Oder eine Zug­stre­cke künf­tig den eins­ti­gen Grenz­strei­fen durch­schnei­den wird. Oder das Grund­stück, auf dem einst die Mauer stand, ver­kauft und damit der Zu­gang un­mög­lich wird.

Fast 160 Ki­lo­me­ter lang zog sich die Mauer zwi­schen 1961 und 1989 rund um West­ber­lin. Das meis­te davon lässt sich heute er­fah­ren oder er­wan­dern: Weite Teile ent­we­der des Zoll­wegs (auf ehe­mals West­ber­li­ner Ge­biet) oder des Ko­lon­nen- oder Pos­ten­wegs (auf DDR-Sei­te) sind er­hal­ten und bil­den seit 2001 den Mau­er­rad­weg. „Hier lässt sich Kul­tur, Po­li­tik und Ge­schich­te er­le­ben“, preist Micha­el Cra­mer die wohl be­rühm­tes­te Rad­tour Ber­lins.

Für den grü­nen Eu­ro­pa­ab­ge­ord­ne­ten Cra­mer ist die Rund­stre­cke eine Art Le­bens­werk. Er gab im Jahr 2000, da­mals noch als Mit­glied des Ber­li­ner Ab­ge­ord­ne­ten­hau­ses, den An­stoß dafür. Ein Jahr spä­ter be­schloss das Par­la­ment, den Mauer­weg aus­zu­schil­dern, fahr­radtaug­lich aus­zu­bau­en und die we­ni­gen da­mals noch ver­blie­be­nen Mauer­res­te unter Denk­mal­schutz zu stel­len. Rund 10 Mil­lio­nen Euro kos­te­te dies, knapp ein Drit­tel trug Ber­lin, den Rest der Bund und die EU. Die in­zwi­schen rund 900 Mauerweg-Schil­der hän­gen auf einer Höhe von 3,60 Meter: so hoch wie einst der DDR-Grenz­wall.

Doch Cra­mer muss­te in den ver­gan­ge­nen 15 Jah­ren auch immer wie­der darum kämp­fen, dass der Weg er­fahr­bar blieb oder erst wurde. So rang er der Stif­tung Preu­ßi­scher Gär­ten das Zu­ge­ständ­nis ab, dass zum Bei­spiel im Sa­cro­wer Park das Ra­deln er­laubt wurde, damit die sym­bol­träch­ti­ge Hei­lands­kir­che an­ge­steu­ert wer­den kann.

Viele Schwie­rig­kei­ten ent­stan­den auch durch die Be­sitz­ver­hält­nis­se der eins­ti­gen Mau­er­grund­stü­cke. Die durch die DDR ent­eig­ne­ten Be­sit­zer konn­ten ihre Grund­stü­cke für einen Teil­wert nach 1990 zu­rück­kau­fen – und damit den Durch­gang auf dem eins­ti­gen Grenz­strei­fen ver­hin­dern. Wie am Grieb­nitz­see, wo der Rad­weg nun ent­lang einer Stra­ße ver­läuft.

Cra­mer be­rich­tet auch von einem ak­tu­el­len Fall: Die Ge­mein­de Schö­ne­feld habe Grund­stü­cke des Mauer­wegs ver­kauft, ohne si­cher­zu­stel­len, dass der Weg wei­ter­hin ge­nutzt wer­den könne.

Frage nach Denkmalschutz

„Niemand hat die Absicht …

… eine Mauer zu errichten!“ So sagte es der DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht am15. Juni 1961 in einer Pressekonferenz. Die Absicht war allerdings durchaus vorhanden: am13. August 1961 begannen die Arbeiten am Mauerbau.

Mit einer Reihe von Veranstaltungen wird am Wochenende an diesen die Stadt zerschneidenden Tag vor 55 Jahren erinnert. Der Bezirk Treptow-Köpenick will bereits ab Freitag mit einer neuen Gedenktafel an unbekannte Mauertote erinnern. Vor der Heilandskirche Sacrow zwischen Berlin und Potsdam soll von Freitag bis Sonntag zudem der ehemalige Grenzverlauf mit einer Lichtachse markiert werden.

Am eigentlichen Jahrestag, am Samstag, sind an mehreren Stellen in der Stadt unter anderem Kranzniederlegungen geplant, und in der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße gibt es ab 10.30 Uhr anlässlich des 55. Jahrestags des Mauerbaus ein Sonderprogramm mit Zeitzeugenpodien, Gedenkveranstaltung, Führungen und einem Poetry Slam.

Am Samstag findet auch der Mauerweglauf statt. Zum fünften Mal wollen Läuferinnen und Läufer ein Zeichen der Erinnerung setzen. Gelaufen wird auf dem Mauerweg im Uhrzeigersinn. Start ist um 6 Uhr im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark am Mauerpark. (taz, epd)

Damit neue Hin­der­nis­se – um nicht zu sagen: Mau­ern – die­ser Art nicht mehr ent­ste­hen kön­nen, for­dern die Grü­nen nun, den Mau­er­rad­weg unter Denk­mal­schutz zu stel­len. Als Ge­samt­en­sem­ble ähn­lich dem Thäl­mann-Park von 1987 in Prenz­lau­er Berg, wie der ver­kehrs­po­li­ti­sche Spre­cher der Frak­ti­on, Ste­fan Gelb­haar, er­läu­tert. Damit wären die bei­den Län­der Ber­lin und Bran­den­burg ver­pflich­tet, sich um den Er­halt des Wegs zu küm­mern und Denk­mal­pfle­ge zu be­trei­ben.

Dafür sprä­chen his­to­ri­sche Grün­de, ar­gu­men­tie­ren die bei­den Grü­nen. So stün­den von den mehr als 300 DDR-Wach­tür­men heute nur noch fünf. Und von der Mauer seien nur noch we­ni­ge Reste übrig. Ein Feh­ler der Nach­wen­de­zeit, als der Grenz­wall schnell ge­schlif­fen wurde, so Cra­mer: Denn eine der häu­figs­ten Fra­gen von Tou­ris­ten sei wei­ter­hin: „Wo stand denn die Mauer?“

16 der 17 ver­blie­be­nen Mauer­res­te ste­hen unter Denk­mal­schutz. Le­dig­lich das „Par­la­ment der Bäume“ des Künst­lers Ben Wagin mit den ein­zi­gen Res­ten im Re­gie­rungs­vier­tel ge­nie­ße diese Si­cher­heit nicht. Ein Un­ding, fin­den Cra­mer und Gelb­haar und for­dern eben­falls deren dau­er­haf­ten Er­halt.

Sie be­grün­den ihren Vor­stoß auch mit ge­gen­wär­ti­gen Ar­gu­men­ten: Zwar gebe es keine Zah­len, wie viele Men­schen den Mau­er­rad­weg jähr­lich nut­zen. Doch vom ent­spre­chen­den Rad­tou­ren­füh­rer, eben­falls von Cra­mer er­stellt, wur­den bis­her mehr als 50.000 Ex­em­pla­re ver­kauft. Er er­scheint be­reits in der ach­ten Auf­la­ge. Rad­tou­ris­mus ist eine be­son­ders un­ter­stüt­zens­wer­te Form von Stadt­tou­ris­mus, fin­det Cra­mer. Nicht zu­letzt sei der Mau­er­rad­weg Vor­bild ge­we­sen für den deut­lich län­ge­ren Iron Cour­tain Trail, der auf 10.000 Ki­lo­me­tern Länge durch 20 Län­der ent­lang der eins­ti­gen Gren­ze zwi­schen Ost und West führt.

Cra­mers und Gelb­haars Vor­stoß kommt zwar pas­send zum 15. Jah­res­tag der Ein­rich­tung des Mauer­wegs – al­ler­dings liegt er in einer Zeit, in der po­li­tisch wenig pas­sie­ren kann. Das Par­la­ment, das den Denk­mal­schutz be­schlie­ßen müss­te, ist in der Som­mer­pau­se, und es gibt nicht mehr ge­nü­gend Sit­zun­gen, um vor der Wahl noch etwas zu ent­schei­den. Gelb­haar sieht den Vor­schlag des­we­gen eher als An­re­gung für künf­ti­ge Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen in Ber­lin, an denen die Grü­nen nach dem 18. Sep­tem­ber wahr­schein­lich be­tei­ligt sein wer­den.

Nicht zielführend

Das scheint auch sinn­voll zu sein. Denn das Ber­li­ner Lan­des­denk­mal­amt hält von der Idee wenig: „In Ber­lin wur­den be­reits alle sub­stan­zi­ell re­le­van­ten er­hal­te­nen Teile der Mauer als Ge­samt­an­la­ge unter Denk­mal­schutz ge­stellt“, teil­te Petra Roh­land, die Spre­che­rin der zu­stän­di­gen Se­nats­ver­wal­tung für Stadt­ent­wick­lung, mit. Und wei­ter: „Eine Un­ter­schutz­stel­lung des durch Ber­lin füh­ren­den Mauer­we­ges hält das Lan­des­denk­mal­amt für nicht ziel­füh­rend.“ Auch würde sich die von Cra­mer be­klag­te man­geln­de Un­ter­hal­tung des Mauer­wegs durch einen Denk­mal­schutz „nicht grund­le­gend än­dern“.

Das Pro­blem sei be­kannt, so Roh­land, und die Se­nats­ver­wal­tung habe es auch an­ge­hen wol­len. Doch: „Unser Vor­schlag, die Ver­ant­wort­lich­keit zum Mauer­weg bei der Grün Ber­lin zu bün­deln und diese dann auch mit ent­spre­chenden Fi­nanz­mit­teln aus­zu­stat­ten, fand be­reits im Vor­feld der jüngs­ten Haus­halts­be­ra­tun­gen lei­der keine Zu­stim­mung.“ Der­zeit liege die Zu­stän­dig­keit für die Un­ter­hal­tung des Mauer­we­gs bei den je­wei­li­gen Be­zirks­äm­tern sowie sons­ti­gen öf­fent­li­chen und pri­va­ten Grund­stücks­be­sit­zern.

Auch aus Bran­den­burg, auf des­sen Flä­che drei Vier­tel des Mau­er­rad­wegs ver­lau­fen, kom­men keine po­si­ti­ven Si­gna­le. Das Lan­des­amt für Denk­mal­pfle­ge habe be­reits „vor län­ge­rer Zeit“ ge­prüft, ob es Sinn mache, den Mau­er­rad­weg unter Denk­mal­schutz zu stel­len, be­rich­tet Tho­mas Dra­chen­berg, der stell­ver­tre­ten­de Lei­ter des Amts. Er­geb­nis: ne­ga­tiv. Alle sich auf bran­den­bur­gi­schem Ter­ri­to­ri­um be­find­li­chen re­le­van­ten Reste der Grenz­an­la­gen stün­den be­reits unter Denk­mal­schutz. „Der Mau­er­rad­weg ist eine vor­bild­li­che An­la­ge und eine ge­eig­ne­te Form der Be­schäf­ti­gung mit den rest­li­chen Re­lik­ten der Ber­li­ner Mauer. Er hat aber sel­ber kei­nen Denk­mal­wert“, so Dra­chen­berg.

Für Ste­fan Gelb­haar sind diese Ar­gu­men­te nicht nach­voll­zieh­bar: „Ohne Denk­mal­schutz wird der Mauer­weg Stück für Stück ver­schwin­den.“ Welt­weit werde Ber­lin mit sei­ner ein­zig­ar­ti­gen Mau­er­ge­schich­te wahr­ge­nom­men – „nur in der Ber­li­ner und der Bran­den­bur­ger Ver­wal­tung scheint das noch nicht an­ge­kom­men zu sein.“ Der Denk­mal­schutz für die Mau­er­res­te habe hart und lang er­kämpft wer­den müs­sen. Gelb­haar: „Diese Aus­ein­an­der­set­zung wird nun of­fen­sicht­lich auch für den Mauer­weg zu füh­ren sein.“

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