: Die Geschichte umkreisen
Erinnerung Der Mauerradweg vermittelt einen Eindruck von der Monströsität der einst 160 Kilometer langen Grenzumklammerung. Doch auch mehr als 25 Jahre nach dem Fall der Mauer hat er Lücken. Wie kann die Touristenattraktion dauerhaft gesichert werden?
von Bert Schulz
Manchmal ist die Erinnerung an die Berliner Mauer wirklich schwierig: Etwa, wenn Bordsteinkanten noch zu hoch sind, als dass Radler locker darüber hinwegfahren könnten. Oder eine Zugstrecke künftig den einstigen Grenzstreifen durchschneiden wird. Oder das Grundstück, auf dem einst die Mauer stand, verkauft und damit der Zugang unmöglich wird.
Fast 160 Kilometer lang zog sich die Mauer zwischen 1961 und 1989 rund um Westberlin. Das meiste davon lässt sich heute erfahren oder erwandern: Weite Teile entweder des Zollwegs (auf ehemals Westberliner Gebiet) oder des Kolonnen- oder Postenwegs (auf DDR-Seite) sind erhalten und bilden seit 2001 den Mauerradweg. „Hier lässt sich Kultur, Politik und Geschichte erleben“, preist Michael Cramer die wohl berühmteste Radtour Berlins.
Für den grünen Europaabgeordneten Cramer ist die Rundstrecke eine Art Lebenswerk. Er gab im Jahr 2000, damals noch als Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, den Anstoß dafür. Ein Jahr später beschloss das Parlament, den Mauerweg auszuschildern, fahrradtauglich auszubauen und die wenigen damals noch verbliebenen Mauerreste unter Denkmalschutz zu stellen. Rund 10 Millionen Euro kostete dies, knapp ein Drittel trug Berlin, den Rest der Bund und die EU. Die inzwischen rund 900 Mauerweg-Schilder hängen auf einer Höhe von 3,60 Meter: so hoch wie einst der DDR-Grenzwall.
Doch Cramer musste in den vergangenen 15 Jahren auch immer wieder darum kämpfen, dass der Weg erfahrbar blieb oder erst wurde. So rang er der Stiftung Preußischer Gärten das Zugeständnis ab, dass zum Beispiel im Sacrower Park das Radeln erlaubt wurde, damit die symbolträchtige Heilandskirche angesteuert werden kann.
Viele Schwierigkeiten entstanden auch durch die Besitzverhältnisse der einstigen Mauergrundstücke. Die durch die DDR enteigneten Besitzer konnten ihre Grundstücke für einen Teilwert nach 1990 zurückkaufen – und damit den Durchgang auf dem einstigen Grenzstreifen verhindern. Wie am Griebnitzsee, wo der Radweg nun entlang einer Straße verläuft.
Cramer berichtet auch von einem aktuellen Fall: Die Gemeinde Schönefeld habe Grundstücke des Mauerwegs verkauft, ohne sicherzustellen, dass der Weg weiterhin genutzt werden könne.
Frage nach Denkmalschutz
… eine Mauer zu errichten!“ So sagte es der DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht am15. Juni 1961 in einer Pressekonferenz. Die Absicht war allerdings durchaus vorhanden: am13. August 1961 begannen die Arbeiten am Mauerbau.
Mit einer Reihe von Veranstaltungen wird am Wochenende an diesen die Stadt zerschneidenden Tag vor 55 Jahren erinnert. Der Bezirk Treptow-Köpenick will bereits ab Freitag mit einer neuen Gedenktafel an unbekannte Mauertote erinnern. Vor der Heilandskirche Sacrow zwischen Berlin und Potsdam soll von Freitag bis Sonntag zudem der ehemalige Grenzverlauf mit einer Lichtachse markiert werden.
Am eigentlichen Jahrestag, am Samstag, sind an mehreren Stellen in der Stadt unter anderem Kranzniederlegungen geplant, und in der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße gibt es ab 10.30 Uhr anlässlich des 55. Jahrestags des Mauerbaus ein Sonderprogramm mit Zeitzeugenpodien, Gedenkveranstaltung, Führungen und einem Poetry Slam.
Am Samstag findet auch der Mauerweglauf statt. Zum fünften Mal wollen Läuferinnen und Läufer ein Zeichen der Erinnerung setzen. Gelaufen wird auf dem Mauerweg im Uhrzeigersinn. Start ist um 6 Uhr im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark am Mauerpark. (taz, epd)
Damit neue Hindernisse – um nicht zu sagen: Mauern – dieser Art nicht mehr entstehen können, fordern die Grünen nun, den Mauerradweg unter Denkmalschutz zu stellen. Als Gesamtensemble ähnlich dem Thälmann-Park von 1987 in Prenzlauer Berg, wie der verkehrspolitische Sprecher der Fraktion, Stefan Gelbhaar, erläutert. Damit wären die beiden Länder Berlin und Brandenburg verpflichtet, sich um den Erhalt des Wegs zu kümmern und Denkmalpflege zu betreiben.
Dafür sprächen historische Gründe, argumentieren die beiden Grünen. So stünden von den mehr als 300 DDR-Wachtürmen heute nur noch fünf. Und von der Mauer seien nur noch wenige Reste übrig. Ein Fehler der Nachwendezeit, als der Grenzwall schnell geschliffen wurde, so Cramer: Denn eine der häufigsten Fragen von Touristen sei weiterhin: „Wo stand denn die Mauer?“
16 der 17 verbliebenen Mauerreste stehen unter Denkmalschutz. Lediglich das „Parlament der Bäume“ des Künstlers Ben Wagin mit den einzigen Resten im Regierungsviertel genieße diese Sicherheit nicht. Ein Unding, finden Cramer und Gelbhaar und fordern ebenfalls deren dauerhaften Erhalt.
Sie begründen ihren Vorstoß auch mit gegenwärtigen Argumenten: Zwar gebe es keine Zahlen, wie viele Menschen den Mauerradweg jährlich nutzen. Doch vom entsprechenden Radtourenführer, ebenfalls von Cramer erstellt, wurden bisher mehr als 50.000 Exemplare verkauft. Er erscheint bereits in der achten Auflage. Radtourismus ist eine besonders unterstützenswerte Form von Stadttourismus, findet Cramer. Nicht zuletzt sei der Mauerradweg Vorbild gewesen für den deutlich längeren Iron Courtain Trail, der auf 10.000 Kilometern Länge durch 20 Länder entlang der einstigen Grenze zwischen Ost und West führt.
Cramers und Gelbhaars Vorstoß kommt zwar passend zum 15. Jahrestag der Einrichtung des Mauerwegs – allerdings liegt er in einer Zeit, in der politisch wenig passieren kann. Das Parlament, das den Denkmalschutz beschließen müsste, ist in der Sommerpause, und es gibt nicht mehr genügend Sitzungen, um vor der Wahl noch etwas zu entscheiden. Gelbhaar sieht den Vorschlag deswegen eher als Anregung für künftige Koalitionsverhandlungen in Berlin, an denen die Grünen nach dem 18. September wahrscheinlich beteiligt sein werden.
Nicht zielführend
Das scheint auch sinnvoll zu sein. Denn das Berliner Landesdenkmalamt hält von der Idee wenig: „In Berlin wurden bereits alle substanziell relevanten erhaltenen Teile der Mauer als Gesamtanlage unter Denkmalschutz gestellt“, teilte Petra Rohland, die Sprecherin der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, mit. Und weiter: „Eine Unterschutzstellung des durch Berlin führenden Mauerweges hält das Landesdenkmalamt für nicht zielführend.“ Auch würde sich die von Cramer beklagte mangelnde Unterhaltung des Mauerwegs durch einen Denkmalschutz „nicht grundlegend ändern“.
Das Problem sei bekannt, so Rohland, und die Senatsverwaltung habe es auch angehen wollen. Doch: „Unser Vorschlag, die Verantwortlichkeit zum Mauerweg bei der Grün Berlin zu bündeln und diese dann auch mit entsprechenden Finanzmitteln auszustatten, fand bereits im Vorfeld der jüngsten Haushaltsberatungen leider keine Zustimmung.“ Derzeit liege die Zuständigkeit für die Unterhaltung des Mauerwegs bei den jeweiligen Bezirksämtern sowie sonstigen öffentlichen und privaten Grundstücksbesitzern.
Auch aus Brandenburg, auf dessen Fläche drei Viertel des Mauerradwegs verlaufen, kommen keine positiven Signale. Das Landesamt für Denkmalpflege habe bereits „vor längerer Zeit“ geprüft, ob es Sinn mache, den Mauerradweg unter Denkmalschutz zu stellen, berichtet Thomas Drachenberg, der stellvertretende Leiter des Amts. Ergebnis: negativ. Alle sich auf brandenburgischem Territorium befindlichen relevanten Reste der Grenzanlagen stünden bereits unter Denkmalschutz. „Der Mauerradweg ist eine vorbildliche Anlage und eine geeignete Form der Beschäftigung mit den restlichen Relikten der Berliner Mauer. Er hat aber selber keinen Denkmalwert“, so Drachenberg.
Für Stefan Gelbhaar sind diese Argumente nicht nachvollziehbar: „Ohne Denkmalschutz wird der Mauerweg Stück für Stück verschwinden.“ Weltweit werde Berlin mit seiner einzigartigen Mauergeschichte wahrgenommen – „nur in der Berliner und der Brandenburger Verwaltung scheint das noch nicht angekommen zu sein.“ Der Denkmalschutz für die Mauerreste habe hart und lang erkämpft werden müssen. Gelbhaar: „Diese Auseinandersetzung wird nun offensichtlich auch für den Mauerweg zu führen sein.“
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