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Turteltauben in Odessa

KinoDas Filmfestival Odessahat sich in seinem siebten Jahr zum Magneten für Filmschaffende aus mehr als 45 Ländern entwickelt

Viele Frauen fühlten sich überflüssig, sagt Regisseur Taras Tkachenko. In der Ukraine genauso wie in der Fremde

Wenn Micheil Saakaschwili und Gennadij Truchanow gemeinsam auf einer Veranstaltung auftreten, dann muss es etwas ganz Besonderes sein. Der Gouverneur der ukrainischen Provinz Odessa und der Bürgermeister der Schwarzmeerstadt sind einander in inniger Abneigung verbunden. Doch die Eröffnung des Internationalen Filmfestivals von Odessa am 15. Juli in der Oper wollten sich beide nicht entgehen lassen.

In seinem siebten Jahr hat sich das Festival zum Magneten für Filmschaffende aus mehr als 45 Ländern entwickelt und 120.000 Menschen angelockt, die die neuesten Produktionen der Ukraine und aus dem Rest der Welt sehen wollten. Darunter auch Doris Dörries „Grüße aus Fukushima“ und die deutsch-österreichische Koproduktion „Toni Erdmann“ von Maren Ade.

Festivalpräsidentin Viktorija Tihipko ist stolz darauf, diesmal besonders viele von Frauen gemachte Filme nach Odessa geholt zu haben. Die kosmopolitische Stadt am Schwarzen Meer ist für sie der ideale Schauplatz für eine solche Veranstaltung. Jeder Cineast kennt die Freitreppe, die die Innenstadt mit dem Meer verbindet, aus Sergei Eisensteins Klassiker „Panzerkreuzer Potemkin“. Aber auch Chaplins „City Lights“ wurde hier gedreht, und heute werden die Odessa Film Studios nicht nur für nationale Produktionen genutzt.

Hollywoodstar Kirk ­Douglas wurde hier als Issur Danilovich Demsky geboren. Sylvester Stallone, Steven Spielberg, Johnny Depp und selbst Whoopie Goldberg hatten Großeltern aus Odessa. Diese Superstars konnten allerdings noch nicht zum Festival geholt werden. Tihipko: „Wir zahlen keine Honorare und den Transport im Privatjet können wir uns nicht leisten.“

Die politischen Umbrüche der vergangenen Jahre hat das Festival weggesteckt. Als Serhij Tihipko, der Ehemann der Festivalpräsidentin, stellvertretender Ministerpräsident (2010–2014) war, flossen noch öffentliche Subventionen. Jetzt müssen über 90 Prozent der Kosten über private Sponsoren organisiert werden. Die Kooperation mit dem russischen Filminstitut wurde eingestellt. Auch russische Besucher kommen kaum noch. Tihipko sieht vor allem in Ost-/Mitteleuropa ein wachsendes Potenzial.

Ukrainische Filmschaffende bekommen zwar Förderung vom staatlichen Filminstitut, doch die Hälfte der Produktionskosten müssen sie selbst aufstellen. So auch Taras Tkachenko, dessen Spielfilm „Das Nest der Turteltaube“ den Preis für den besten ukrainischen Film abräumte. Es geht um Arbeitsmigration und wie die langjährige Abwesenheit von Elternteilen die Familien zerstört. Fünf Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer arbeiten im Ausland. Die Männer eher in Russland auf Ölfeldern oder in Kohlegruben, die Frauen eher im Westen als Pflegerinnen, Haushaltshilfen, Prostituierte.

„Ich habe vor ein paar Jahren eine Dokumentation über ukrainische Frauen in Genua gemacht“, sagt Tkachenko. „An sie habe ich gedacht, als ich diesen Film drehte.“ Er will ihn demnächst in der Kirche zeigen, wo sich die Migrantinnen am Sonntag treffen. Mit einer Million ist die ukrainische Community in Italien die größte im Westen.

„So eine Frau verlässt ihren Mann und ihre zehnjährige Tochter. Sie bleibt mindestens fünf Jahre, denn anfangs ist sie illegal und kann nicht weg. Sie muss Schulden an den Arbeitsvermittler abzahlen. Wenn sie zurückkommt, ist die Tochter ein Teenager, der sie nicht mehr braucht.“

Das Nichtgebrauchtwerden sei der zentrale Migrationsgrund, sagt Tkachenko. Mehr als das Geld. Viele Frauen fühlten sich überflüssig. In der Ukraine genauso wie in der Fremde. Ob westliche Zuschauer den Film mit allen subtilen Botschaften verstehen, weiß der Regisseur nicht. „Ich habe ihn für die Ukraine gemacht.“ Ralf Leonhard

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