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Die alten Meister

PREMIEREN IM SCHILLERTHEATER Die Staatsoper hat die Saison wieder mit ihrem Festival „Infektion“ abgeschlossen. Neues Musiktheater gab es jedoch nicht zu sehen, nur einmal wenigstens gutes

von Niklaus Hablützel

Vor sechs Jahren hatte Jürgen Flimm beschlossen, eben erst eingezogen in das Ausweichquartier an der Bismarckstraße, die Saison mit einem entschlossenen Ausblick auf die Zukunft zu beenden. Unter dem Titel „Infektion!“ sollte von nun jedes Jahr ein kleines, aber feines „Festival für Neues Musiktheater“ beweisen, dass die Staatsoper kein Museum ist, sondern ein Opernhaus am Puls der Zeit. Heute ist davon nichts mehr übrig geblieben. Gerade mal drei Inszenierungen standen auf dem Programm, das am Mittwoch verschämt mit einem Klavierabend von Adrian Heger zu Ende ging.

Heger ist Assistent des Chorleiters und überhaupt der Mann für alles an der Staatsoper. Er kann dirigieren, Klavierspielen und ist immer zur Stelle, wenn es schwierig und modern wird. Er spielte einige der frühen Klavierstücke von Karlheinz Stockhausen, entstanden am Anfang der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Sie sind längst Geschichte. Heger spielt sie so wundervoll, dass man immer weiter zuhören möchte, und wenn es um die Zukunft geht, lässt sich aus dem Konzert immerhin die Forderung ableiten, dass diese Meister- und Schlüsselwerke der Klaviermusik ­endlich in das ganz normale Repertoire von Konzertveranstaltern gehören. Heute kann man vielleicht sogar besser hören, dass sie weit mehr sind als Beweismittel für die kompli­zierten mathematische Regeln des Komponierens, die damals in Darmstadt als modern galten.

Ein schöner Abend, der allerdings besonders schmerzlich vor Ohren führte, woran es den zwei anderen Festivalproduktionen in der Werkstatt des Schillertheaters fehlte. Die erste Premiere fand schon am 23. Juni statt. Der Regisseur Hans-Werner Kroesinger hat das Stück „Die Luft hier: scharfgeschliffen“ von Mathias Hermann eher im Raum arrangiert als wirklich inszeniert. Aber was sollte er auch sonst tun? Hermann hatte sein Werk 1993 für die Opernabteilung der Kunsthochschule Stuttgart komponiert. Es verknüpft überaus ambitioniert und sendungsbewusst Texte von Ulrike Meinhof aus der Isolationshaft und Ossip Mandelstamm, unterlegt mit Frauenstimmen, einem Sprecher und Instrumenten. Zu hören ist brave Schulmusik, die von Folterqualen keine Vorstellung hat. Hermann bedient sie mit viel Schlagwerk und Pathosgesten an der Bassklarinette. Neu oder gar wegweisend war daran schon in der Uraufführung nichts, und 23 Jahre später ist man nur froh, dass es nach einer Stunde vorbei ist.

Fast so lange dauerte auch der Abend mit Irini Amargianaki. Die 36 Jahre alte Griechin lebt in Berlin, spielt Akkordeon und Oud, hat Komposition studiert und beschäftigt sich mit mikrotonaler, arabischer Musik. Davon ist auch in ihrem Stück „Autonomes Nervensystem“ viel zu hören, und es beginnt alles sehr schön mit zwei Bassklarinetten auf einem einzigen, tiefen Ton. Pauke, Harfe und Cello kommen hinzu, reichern den Klang an durch neue Irritationen und allmählich weitet sich das Flirren von Interferenzen zu einem Klangraum von hohem sinnlichen Reiz. Nur hat sich die Komponistin etwas ganz anderes vorgenommen. Sie will uns erstens über die Physiologie des Hörens belehren und zweitens an die geliebten Stimmen der Toten erinnern. Dazu unterbricht sie den musikalischen Fluss durch vollkommen sinnlose Pausen, in denen Lautsprecher dröhnen, begleitet von Farbschlieren auf Projektionsflächen. Es ist furchtbarer Kitsch und ein Jammer, weil offenbar niemand imstande war, diese hochmusikalische Frau an der Zerstörung ihres Werkes zu hindern.

Auch Jürgen Flimm nicht, der sich nur um seinen Freund Salvatore Sciarrino gekümmert hat. Vor zwei Jahren hatte er dessen „MacBeth“ auf der Baustelle Unter den Linden inszeniert, dieses Mal sollte es im großen Saal des Schillertheaters die ganz große Oper werden. Erstaunlicherweise ist ihm genau das gelungen. Er verließ sich auf eines der Werke des Komponisten, das schon seit der Uraufführung von 1998 recht oft und stets mit großem Erfolg aufgeführt worden ist. Es hießt „Luci mie traditrici“.

Der Stoff ist historisch und beruht auf einem Kriminalfall aus dem Ende des 16. Jahrhunderts. Der Komponist überaus kühner Madrigale, Fürst Carlo Gesualdo da Venosa, hatte seine Gattin und ihren Liebhaber auf frischer Tat niedergemetzelt.Sciarrino übersetzt eine zeitgenössische Kolportage des Skandals in seine höchst eigenwillige Flüstermusik. Schon der Kontrast der Bluttat und des leisen, sehr kleinteiligen Gewebes im Orchester sorgt für enorme innere Spannung. Aufgelöst wird sie durch zwei Frauen- und zwei Männerstimmen, die in einem ebenso filigranen Sprechgesang ihre jeweiligen Seelenzustände schildern.

Es beginnt sehr schön mit zwei Bassklarinetten auf einem einzigen, tiefen Ton

Eine Handlung gibt es nicht. Sciarrino konzentriert sich ausschließlich auf die Konstellationen der Figuren, denn nur dafür reichen seine mikroskopischen Stilmittel aus. Eben das ist die Stunde von Jürgen Flimm. Ebenso konzentriert breitet er seine gesamte Erfahrung des Theaters aus. Es ist ein Kammerspiel für vier Stimmen, und nichts sonst. Die Bühne ist ein Innenraum mit Sofa und Schreibtisch, eine Uhr erinnert strikt an die klassische Einheit von Ort und Zeit, ein Riss in der Rückwand an die ebenso klassische Krise der Eifersucht. Mehr ist nicht nötig, um dieses kleine, gerade mal eine Stunde lange Werk zur großen Oper werden zu lassen, denn Flimm nimmt Sängerinnen und Sänger so behutsam zur Hand, dass sie alles richtig machen. Jeder Ton und jede Geste stimmen und fesseln die Aufmerksamkeit, obschon eigentlich nichts geschieht.

Nun ja doch: ein Mord aus Eifersucht. Aber das ist gewiss nichts Neues. Wirklich neu ist ja auch Sciarrinos Musik nicht, deren subtile Stilmittel der einsame, allen Strömungen der Gegenwart ferne stehende Komponist konsequent bis heute weiterentwickelt.

Neues Musiktheater ist das nicht, aber gutes. Vielleicht wollte Jürgen Flimm ja nie etwas anderes sagen mit seinem Festival am Ende jeder Saison.

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