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der rote faden Hubba Bubba kauend, allerlei Rotes und den Tiger im Blick

nächste wochesaskia hödl Foto: Sebastian Wagner

durch die woche mitNina Apin

Am Wochenanfang hat die Studenten-WG in unserem Vorderhaus einen Union Jack aus dem Fenster gehängt. Vielleicht befinden sich Briten unter den Bewoh­ne­rInnen, vielleicht wollten sie aber auch nur Solidarität mit denen ausdrücken, die das alles, wie sich ein paar Tage nach dem Brexit-Schock abzeichnet, doch gar nicht so gewollt haben. Das Blau in der Fahne ist schon ziemlich ausgebleicht, nur das Rot leuchtet noch kräftig.

So kräftig wie die Rose auf dem Logo der britischen Labour-Partei – oder die schmale Krawatte, die Labour-Chef Jeremy Corbyn sonst gern bei offiziellen Anlässen trägt.

Schimanskibeige

In den Tagen nach dem Votum allerdings war die ehemalige Hoffnung der britischen Arbeiterklasse auffällig oft in einer graubeigen Proletarierjacke zu sehen, die der legendären Horst-Schimanski-Kutte von Götz George ähnelte. Er und seine Jacke mögen in Frieden ruhen, trotzdem gibt es kaum eine deprimierendere Farbe als dieses Altherrengraubraunbeige, das wohl Uneitelkeit und größtmögliche Basisnähe signalisieren soll, dabei aber doch nur Ödnis ausstrahlt.

Beim Misstrauensvotum im Unterhaus erschien Labour-Chef Corbyn dann aber in Dunkelblau (Anzug), Weiß (Hemd), Rot (Krawatte). Das harmonierte zwar farblich hervorragend mit dem Grün der Parlamentsledersitze, half ihm aber auch nichts mehr: Votum verloren, stur geblieben, jetzt tobt ein blutroter Kampf zwischen den Genossen. Interessant übrigens: Angela ­Eagle, abtrünnige Labour-Schattenministerin für Unternehmen und Innovation, steht sehr auf Rot: Den knallroten „In“-Button trug sie in den Wochen vor dem Votum stets am Revers. Jetzt, wo sie offiziell für die Partei­führung kandidiert, zeigt sie sich gern in auffällig hellrotem Blazer: Here I am, gentlemen!

Eher wassermelonenrot war die Zunge des Tigers, der mir neulich mitten in der Stadt sehr tief in die Augen schaute. Ein durchdringender, zutiefst unangenehmer Raubtierblick. Der durchdrang, zusammen mit den daneben gezeigten Bildern von erschöpften und halb verdursteten Flüchtlingen, mein Inneres so, wie sich die Initiatoren des Politkunstspektakels „Flüchtlinge fressen“ das gewünscht haben: Eleos und Phobos – alles da, was es für eine echte Tragödie braucht.

Labourblutrot

Dass die angekündigte Katharsis – entweder ein Sonderflug bringt Flüchtlinge legal nach Deutschland, oder Flüchtlinge lassen sich von Tigern zerfleischen – am Dienstagabend ausblieb, nahm ein sehr reflektierter Polizist schon tags zuvor vorweg. „Die Spannung, die hier erzeugt wird, ist rein künstlich. Es handelt sich hier schließlich um Kunst mit humanitärem Anspruch“, erklärte er cool zwei ­erschreckten Touristinnen. Und das ganz uninstruiert und ohne Zettel vom Theater.

Diesen Mann hätte sich die Mindestlohnkommission mal ausleihen sollen, um das Ergebnis ihrer Verhandlungen an Mindestlöhner zu verkaufen. Über die 34 Cent mehr hätte er zum Beispiel sagen können: „Der Fortschritt, der hier suggeriert wird, ist rein künstlich. Es handelt sich hier schließlich um Politik mit Symbolcharakter.“ Für 34 Cent kann man sich noch nicht mal eine dieser rosaroten, himmlisch ungesund schmeckenden Hubba-Bubba-Kaugummipackungen kaufen, die der Späti neben uns führt.

Wassermelonenrot

Neulich habe ich mir, hinter dem Rücken der Kinder, einen gekauft. Er roch nach einer Kindheit, in der die weichen Dinger einzeln beim Bäcker zu kaufen waren, für zwanzig Pfennig. Später, als Ferienjobberin, verkaufte ich sie aus einem bauchigen Glas an die Kinder der Cafégäste, die bei mir Buttercremetorte und Nusskipferl bestellten. Ich bekam zehn Mark die Stunde – als Schülerin!

Aber das war Anfang der Neunziger, im wohlhabenden Bayern. Für zehn Euro kriegt man heute bei meinem Berliner Eckfriseur einen Damenschnitt. Die Brötchen kosten beim Bäcker, der eigentlich nur ein Aufbäcker ist, etwas weniger als die besagten 34 Cent: nur 30. Aber in letzter Zeit werden kaum noch welche verkauft, weil Ramadan ist. Die Nachbarn aus dem Viertel gehen gesenkten Blicks an den Auslagen vorbei.

Kaugummirosa

Erst gegen Abend, wenn die Studenten-WG vom Vorderhaus die Bierkästen hochträgt und die ersten Marihuanaschwaden sich am Balkon vorbeikräuseln, fängt es an, nach frisch gebackenem Brot, Knoblauch und Köfte zu duften. Wahrscheinlich finden dabei die schrumplig gewordenen 30-Cent-Brötchen dann ihre Bestimmung.

Neben dem britischen Union Jack hängt seit dem Anschlag am Mittwoch jetzt auch eine türkische Flagge vor dem WG-Fenster. Mal sehen, ob in den nächsten Tagen auch eine österreichische Fahne dazukommt.

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