Im neuen Modus bleiben?

Warten Weil es 24 Teilnehmer gibt, wissen Drittplatzierte wie Albanien bis zum allerletzten Vorrundenspiel nicht, ob sie weiterkommen. Gute Sache?

Ja

Sie können einem leid tun, diese Albaner! Gegen die Schweiz knapp verloren, dann gegen Frankreich bravourös gekämpft und erst kurz vor Schluss auf die Verliererstraße geraten, um sich im letzten Gruppenspiel aufzurappeln und das Balkanduell gegen Rumänien zu gewinnen – und nun: warten, warten, warten. Nämlich darauf, zu erfahren, ob der dritte Platz zum Weiterkommen reicht.

Diese Ungewissheit mag schwer auszuhalten sein für Spieler, Betreuer und Fans. Schuld daran ist, so sehen es die Kritiker, dieser blöde Modus, den eine auf 24 Teilnahmeteams aufgeblähte Europameisterschaft erzwingt. Aber so ist das Leben: Wer mehr Vielfalt will, muss mehr organisieren und mehr Kompromisse machen, um alles und alle unter einen Hut zu ­bringen.

So ist es auch bei dieser EM-Endrunde: 24 Mannschaften repräsentieren eher den ganzen Kontinent als 16 – und wenn man einen Modus finden will, der aus 24 Mannschaften 16 macht, die ins Achtelfinale kommen, geht das ohne Kompromisse nicht. Denn der Modus muss gerecht und praktikabel sein. Er muss ausreichende Pausen zwischen den Spielen bieten und verhindern, dass sich Vorrundengegner früh in der K.-o.-Phase wiedersehen.

Das leistet der Modus. Er sieht kompliziert aus – aber auch das gehört zur Gerechtigkeit. Aus dem Steuer- und Sozialrecht ist das bekannt: Je komplexer ein System ist, desto komplexer müssen die Regeln sein. Es ist nämlich nicht dasselbe, ob ein Reicher oder ein Armer 1.000 Euro Steuern zahlen muss.

Für viele „kleine“ Teams, die als Drittplatzierte ein paar Tage bangen, gilt sowieso: Wäre das EM-Teilnehmerfeld nicht aufgestockt worden, hätten sie sich kaum für die Endrunde qualifiziert.

Und noch einen Vorteil hat der 24er-Modus: Die letzten Gruppenspiele sind spannender als bei einem 16er- oder 32er-Modus. Richard Rother

Nein

Foto: Jean-Christophe Bott/Keystone/dpa

Gewonnen, gejubelt, Glückwunsch – und jetzt: mal schauen. Albanien hat durch sein 1:0 gegen Rumänien eine Wartemarke fürs Achtel­finale gezogen.

Für drei Tage müssen sich Fans und Spieler des albanischen Teams Spiele der Nord­iren (verlieren hoffentlich deutlich), Tschechen und Türken (spielen hoffentlich unentschieden), Schweden (höchstens Unentschieden), Iren (siehe Schweden), Isländer, Portugiesen und Österreicher anschauen – und dann, Mittwochnacht, wissen sie, ob ihre drei Punkte tatsächlich für die Runde der letzten 16 reichen.

Die Spannung ist riesig. Also riesig in Form von geht so.

Ein Turnier lebt von Entscheidungen. Anders als im Ligabetrieb, heißt es spätestens ab dem dritten Spieltag: weiter oder raus, raus oder weiter?

Nun, da auch die vier besten Gruppendritten die nächste Runde erreichen, heißt es: warten, weiterkommen (wenn alles gut läuft), und dann nachschlagen, auf wen man eigentlich trifft: Das steht im offiziellen Uefa-Regelwerk zur Euro 2016, Kapitel II, Seite 18, Wettbewerbsmodus. Dort sind alle Konstellationen aufgeführt. 15 sind möglich. Wenn beispielsweise die besten Dritten aus den Gruppen A, C, E und F kommen, dann trifft der Dritte aus A auf den Sieger der Gruppe B, der Dritte aus C trifft auf den Gruppensieger aus A, der E-Dritte auf den D-Gruppensieger und der Dritte aus Gruppe F auf den Ersten aus Gruppe C. Klingt kompliziert? Schauen Sie sich mal die ganze Tabelle im Regelwerk an.

Dieser Modus führt den Turniergedanken ad absurdum: Es werden keine Entscheidungen herbeigeführt. Es werden Wartemarken ausgegeben. Erfolg und Misserfolg werden bestimmt von nicht beeinflussbaren Faktoren. Was beim Amt der Sachbearbeiter Herr Niegesehen ist, sind bei diesem Turnier die Gruppenspiele von Mannschaften, gegen die man nie selbst gespielt hat.

Und wenn man trotz des dritten Platzes im Achtelfinale nicht drankommt, heißt es: Kommen Sie bitte in vier Jahren wieder. Schlimmer als beim Berliner Bürgeramt.

Jürn Kruse