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Sepp, Puse und der örtliche Kleingeist

Erleuchtet In Braunschweig findet in diesem Sommer der vierte Lichtparcours statt, der Interessierten Kunst rund um die Uhr bieten soll. Illuminiert wird alles: vom Kunst-Imbiss, an dem sich eine Fahrschule stört, bis zur Kapitalismuskritik am Shopping-Schloss

Abgelegene Intervention am Braunschweiger Hafen: Lichtkunst wie ein Schwarm fliegender Vögel Foto: Daniela Nielsen/Lichtparcours Studio Drift

von Bettina Maria Brosowsky

Zum vierten Mal gibt es nun einen Lichtparcours in Braunschweig. Zur Expo 2000 erlebte dieses Kunstformat seine Premiere und verwandelte unscheinbare oder schwer zugängliche Situationen entlang der Okerumflut – das sind zwei künstlich angelegte Wassergräben, die den historischen Stadtkern von Braunschweig umschließen – in 13 atmosphärische Räume des Übergangs zwischen Landschaft und städtischer Struktur. Sagenhafte 500.000 Besucher zählte man damals.

Der Kunstparcours 2004 floppte, den nächsten besuchten 2010 dann immerhin 300.000 Interessierte. Ansporn also für den Veranstalter, das Kulturdezernat der Stadt Braunschweig, für eine vierte Auflage, die jetzt Kunst für 24 Stunden bieten will. Und die mit zwölf neuen Orten und drei alten der bislang umfangreichste Lichtparcours ist.Licht ist elementar zur Wahrnehmung von Form, Struktur, Oberfläche und Farbe unserer Umgebung, in der vollkommenen Dunkelheit sähe man nichts. Licht hat zudem symbolische Bedeutungen: Das natürliche Licht wird im religiösen Kontext mit Schöpfung, Geburt und Erlösung gleichgesetzt und wurde nach seiner naturwissenschaftlichen Erforschung zum Sinnbild der Aufklärung. Das künstliche Licht umflort seit seinem Aufkommen im 19. Jahrhundert die emanzipative Aura eines nicht nur technischen Fortschritts.

Licht gehört auch stets zum Programm faszinogener Massenveranstaltungen, sei es als höfisches Feuerwerk des Barock oder als Lichtdome der NSDAP, wie sie Leni Riefenstahl der Nachwelt überlieferte. Mit diesen Binsenweisheiten im Hinterkopf ist man auch gut für den Braunschweiger Lichtparcours gewappnet und kann die eher unterhaltsamen Illuminationen von künstlerisch Diffizilerem scheiden, ohne hier werten zu wollen.

Der prominenteste der teilnehmenden Künstler, der gebürtige Chilene Alfredo Jaar, besetzt auch den prominentesten Ort. Sein Schriftzug „Kultur = Kapital“ eine Paraphrase des Multiples von Joseph Beuys „Kunst = Kapital“ – prangt nun am Portikus des Shopping-Schlosses. Die Arbeit wurde, ähnlich den meisten anderen, von Sponsoren finanziert, in diesem Falle der Richard-Borek-Stiftung. Diese hatte auch schon kräftig für die Schlossattrappe ins Portemonnaie gegriffen und zudem die monumentale Bronzeplastik der Brunonia spendiert, die über dem Schriftzug thront. Es sei dahingestellt, ob Jaars beabsichtigte Systemkritik in diesem Kontext verstanden werden kann.

Zur Rubrik des Unterhaltsamen wiederum zählt zweifelsohne der blau leuchtende Kunststoffpavillon von Tobias Rehberger. Eine Konzerthalle von Star-Architekt Rem Kolhaas stand Pate bei der Formfindung des kleinen Kristalls, der zyklisch als Kunst-Imbiss an einer Straßenkreuzung bewirtschaftet wird. Es ist zu hoffen, dass die Anlieger nicht intervenieren, wie es schon die Fahrschule gegenüber getan hat: Das ursprünglich gewählte textliche wie typografische Zitat „Sepp u. Suse“ aus ihrer antiquierten Leuchtreklame wandelte Rehberger dann kurzerhand um zum Namen „Pess u. Puse“, führte so einmal mehr den örtlichen Kleingeist vor.

Mit Binsenweisheiten im Hinterkopf ist man auch gut für den Braunschweiger Lichtparcours gewappnet

Bewährte Standorte im Lichtparcours sind Braunschweigs Grünräume entlang der Oker. Hier versammeln sich neun Objekte, die, ähnlich den sogenannten Follies, also den ungewöhnlichen Zierbauten der klassischen Landschaftsgärten, mit dem ästhetischen Überraschungseffekt des Artefakts in der Natur operieren.

Ein Novum – und die erfrischende Entdeckung des Parcours – ist eine abgelegene Intervention am Braunschweiger Hafen. Dort fand das englisch-niederländische Duo Studio Drift zwischen Schrotthalden und Wildwuchs einen vor 25 Jahren aufgelassenen Kornspeicher, eine eindrückliche Industriebrache, das Gebäude gut 40 Meter hoch. Die beiden Lichtdesigner arbeiten in ihren Aufträgen gern mit Naturanalogien, lassen etwa eine große Leuchten-Formation, per Zufallsgenerator getaktet, wie einen Schwarm fliegender Vögel erscheinen. Einen vertikalen Schacht im Innenraum des Speichers durchfährt nun eine Textil umhüllte, an eine schwimmende Molluske erinnernde Leuchtquelle, die Geschwindigkeit, Richtung und ihr organisches Volumen immer wieder abrupt ändert. Mittels einer raffinierten Spiegelung kann man ihr Agieren im undefinierbar aufgelösten Raum durch ein Einblicksfenster der Außenwand verfolgen, nach Dunkelheit wird es großformatig auf den Giebel projiziert.

Außen und innen, ein verschlossener Raum und sein unergründbares Geheimnis, eine artifizielle Natur, die sich einen Ort postindustriellen Verfalls zu erobern scheint: Das alles verschmilzt zu einer anregenden Symbiose, und wer will, kann es gar als leichtfüßig vieldeutige Metapher lesen für das derzeitige Gleichgewicht unserer Welt.

Lichtparcours Braunschweig: bis zum 22. September. Übersichtsplan, Touren und Begleitveranstaltungen auf der Seite www.braunschweig.de/lp16/

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