Ein Coach geht seinen Weg

Fußball Der Neue ist da: Jens Keller, vor zwei Jahren bei Schalke geschasst, nimmt die Arbeit als Trainer des 1. FC Union auf. Seine Verpflichtung lässt die Köpenicker schon vom Aufstieg in die Bundesliga träumen

Probesitzen im neuen Zuhause: Union-Trainer Jens Keller in der Alten Försterei Foto: Jörg Carstensen/dpa

von Alina Schwermer

Jens Keller ist sichtlich bemüht, für eine lockere Atmosphäre zu sorgen. „Wir müssen an Stühlen arbeiten“, sagt er und grinst, während er bei gefühlten 40 Grad mit einigen Journalisten in der Lounge seines neuen Arbeitgebers Union Berlin steht. Die Gruppe, die für Unioner Verhältnisse schon als Menge durchgeht, wirkt unbeirrt. „Mitleid haben Sie nicht, oder?“, fragt Keller trocken, als die Frage- und Fotosession ohne absehbares Ende weitergeht. Allgemeines Gelächter, gepaart mit ein wenig Überraschung: Vielleicht ist Humor nicht die erste Eigenschaft, die sie vom neuen Union-Trainer Jens Keller erwartet haben. Keller, dem der Ruf des ruhigen Typen vorauseilt, wurde bei seiner letzten Station als Trainer von Schalke 04 auch deshalb entlassen, weil er als zu spröde, zu uncharismatisch, zu dünnhäutig galt.

Auch in der „Eisern Lounge“ gibt Keller nicht die Rampensau. Die Fotos lässt er mit gequältem Lächeln über sich ergehen, irgendwann verweist er etwas hilflos darauf, nun habe der Fotograf doch genug schöne Bilder. Das Publikum aber gewinnt er im Gespräch mit Direktheit und Humor. „Ich bin ein sehr kommunikativer Trainer“, sagt er. Und auch schon mal lustig. „Von Ihnen habe ich schon gehört, bevor ich hier war“, kommentiert er die Frageflut eines Reporters – sehr zur Erheiterung der Kollegen. Jens Keller hat zwei Missionen hier: Er will Union in die Erste Liga führen. Und er will die Kritiker widerlegen, die einst sagten, er sei menschlich nicht geeignet für den Job als Profitrainer.

Von Schalke mitgenommen

Jens Keller sieht älter aus in jenem Herbst vor zwei Jahren, als man ihn zuletzt im Fernsehen sah, damals, als er in Gelsenkirchen entlassen wurde. Das Haar ist grauer, die Falten tiefer; er sieht nicht aus wie 46 Jahre. Er macht auch keinen Hehl dar­aus, dass die Zeit auf Schalke ihn mitgenommen hat. In Gelsenkirchen, an seiner ersten richtigen Cheftrainer-Station, entspann sich eine zwei Jahre währende bizarre Trainerdiskussion: Zweimal spielte Jens Keller mit Schalke in der Champions League, zeigte schnellen und erfolgreichen Fußball; trotzdem war er, so schien es, den Verantwortlichen nie gut genug. Selten wurde ein Trainer medial so sehr nach vermeintlichen Charaktereigenschaften bewertet wie Keller. Als er sich dagegen wehrte, hieß es, er sei zu dünnhäutig für das Business.

Der hysterische Ruhrpottclub war wohl nicht die beste Anfangsstation für einen Neuling, der zuvor vor allem Nachwuchsarbeit gemacht hatte. „Die Situation auf Schalke war viel Stress für mich“, sagt Keller heute. Danach habe er erst mal lange Urlaub gemacht, habe langsam den Akku wieder aufgeladen. Es dürfte auch die Erfahrung auf Schalke sein, die nun den Ausschlag für Union gegeben hat. „Ich möchte in einem Verein arbeiten, wo eine gewisse Ruhe und Struktur herrscht“, so Keller. „Ich möchte mich wohlfühlen.“

Jens Keller, so scheint es, will mit seinem Wechsel zu einem familiären, bodenständigen Zweitligisten einen Schritt rückwärts machen, um zwei nach vorn zu gehen. Er ist ein Typ, der den Erfolg langsam aufbaut, auch mit den Spielern direkt und kommunikativ ist. Vermutlich hätte er einen guten Lehrer abgegeben. Union soll ihm das Vertrauen und die Rückendeckung geben, die er bei Schalke selten hatte. Im Gegenzug erhofft sich Union von der prestigeträchtigen Verpflichtung den lang ersehnten Aufstieg in die Bundesliga. „Wir wollen unter die Top 20 in Deutschland“, sagt Geschäftsführer Lutz Munack, „und einen Trainer, der bei diesem Ziel mitzieht.“

Als der Club vor ein paar Monaten die Verpflichtung verkündete, war die Aufmerksamkeit groß: Ein Coach, dessen letztes Team Champions League gespielt hat, geht nicht alle Tage in die Zweite Liga. Keller sagt, ihm sei die Liga egal: „Der Job ist entscheidend. Die Entwicklung von Spielern macht mir wahnsinnigen Spaß.“ Ähnlich wie sein Vorgänger, der kürzlich verstorbene Sascha Lewandowski, legt Keller viel Wert auf Nachwuchsarbeit und ansehnliches Zusammenspiel. „Das Kollektiv ist im Vordergrund. Wer sich dagegen stellt, kriegt ein Riesenproblem mit mir.“

Vermutlich hätte Jens Keller auch einen guten Lehrer abgegeben

Der Aufstieg ist das Ziel

Das passt zur Philosophie der Köpenicker, wo man bodenständige Charaktere liebt und Starallüren wenig schätzt. Mit Jens Keller soll nun der entscheidende Schritt des Kollektivs in Richtung Aufstieg kommen – wann, darauf will sich der neue Trainer allerdings nicht festlegen: „Dass wir unter die Top 20 wollen, heißt nicht, dass wir dieses Jahr Zweiter werden müssen.“ Man wolle „im oberen Bereich“ der Liga mitspielen, was sich so interpretieren lässt, dass der sechste Platz der vergangenen Saison gesteigert werden soll. Um wirklich ein Wort beim Aufstieg mitzureden, wird Union aber wohl noch den ein oder anderen Spieler verpflichten müssen: Der Abgang des Rekordtorschützen Bobby Wood schmerzt, und auch Jens Keller kündigt an, dass beim Kader noch etwas passieren wird: „Wir sind noch nicht so weit.“

Zwei Jahre wird der gebürtige Stuttgarter wohl Zeit haben, den Traum vom Aufstieg wahr zu machen; so lange geht sein Vertrag bei Union. „Wir haben einen Trainer gesucht, der sich die Ruhe nimmt, etwas langfristig anzugehen“, sagt Geschäftsführer Munack. Zumindest langfristig nach Maßstäben des Fußballs. Mehr Ruhe als auf Schalke wird er haben. Keller sagt, er habe aus der Erfahrung damals gelernt. „Ich lasse mir nichts zu nahe kommen. Ich gehe meinen Weg.“ Schon damals, so sagt er, habe er ein dickes Fell gehabt. „Einige Dinge sind einfach an mir abgeprallt. Klar macht man Fehler. Aber ich konnte immer in den Spiegel schauen.“