: Sehen und gesehen werden
GEGENSCHUSS In Hamburg nimmt die letzte Ausstellung des scheidenden Kunsthallen-Direktors Hubertus Gaßner den Maler Edouard Manet in den Blick – und untersucht das Regime der Blicke selbst
von Hajo Schiff
Er wurde kritisiert und verhöhnt wie kaum ein anderer in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts. Aber 1881, zwei Jahre vor seinem Tod, wurde er zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Und bis heute ist Edouard Manet einer der großen Stars der französischen Malerei; ihm gilt jetzt eine mit etwa 60 Arbeiten prunkende Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle.
So viele Exponate aus den Museen der Welt zusammenzubringen, das ist schwierig, Der Kunsthalle selbst gehören gerade mal drei, und die ikonischen Hauptwerke – „Das Frühstück im Grünen“ etwa, „Olympia“ oder „Eine Bar in den Folies-Bergère“ – dürfen überhaupt nicht reisen. Für seine letzte und vielleicht wichtigste Ausstellung hat Hubertus Gaßner, der scheidende Hausherr, zudem ein besonderes Thema ausgewählt: Er untersucht das Regime der Blicke.
Ständig werden die Ausstellungsbesucher von Künstlern und Kellnerinnen, Bürgern und Hunden direkt angeschaut, geradezu beobachtet. Zwar ist der aus dem Bild in den Real-Raum gerichtete Blick in der Kunst nicht selten und keineswegs Manets Erfindung, aber hier wird er zum Hauptthema der Malerei.
Blicke aus dem Bild
Es scheint, diese Bilder suchen Bestätigung durch das betrachtende Gegenüber. Selbst die gemalten Hunde scheinen sich wohlwollender Reaktion versichern zu wollen. Da zudem der Maler seine Personen oft in leicht unscharfe Umgebungen versetzt und ihre Interaktionen miteinander selten eindeutig sind, wird ihre Bedeutung erst durch die Begegnung mit den Museumsgängern bestimmt.
So gewinnt das heutige Bildergucken Ähnlichkeit mit der Welt der bürgerlichen Flaneure des 19. Jahrhunderts: Sehen und gesehen werden, einen guten Eindruck machen im gesellschaftlichen Spiel zwischen strenger Repräsentation und inszeniertem Skandal. Es ist diese unbestimmte Theatralität, diese abspiegelnde, doch ungerichtete Bühnenhaftigkeit, die das Werk des 1832 in Paris geborenen Manet ausmacht und das damalige Publikum irritierte.
Wer sich neureich mühsam in die höheren Gefilde der Kunst vorgearbeitet hatte, wollte dort im Salon nicht von einer stadtbekannten Prostituierten fixiert werden oder einer bettelnd ausgestreckten Hand begegnen – egal wie gut dies gemalt war. Gleich zwei Bettler hängen in Hamburg dunkeltonig und in lebensgroßer Präsenz nebeneinander. Sie führen in direkter Begegnung auf eine interessante Spur: Das eine der so gut in die Reihe passenden Bilder ist vom über 200 Jahre älteren Spanier Diego Velázquez.
Manet wollte sich mit solcher Meisterschaft messen – und er konnte es. Dennoch wurde seine malerische Qualität in den Kritiken des Salons immer angezweifelt. Als ob es einen lockeren Pinselstrich und „Schatten wie Schuhcreme“ – so 1865 der Schriftsteller Théophile Gautier 1865 – nicht schon mindestens seit dem Barock gegeben hätte. Auch das Spiel mit dem Licht und den manchmal ungewohnten Bildausschnitten haben eine Tradition, bevor sie den Impressionisten, zu denen mindestens der späte Manet gerechnet wird, zur Regel werden.
Um den Kontext der jährlich in Paris stattfindenden großen Ausstellungen des Salons zu veranschaulichen, zeigt die mit ihrer kommentierenden Hängung und den erläuternden Texten gut zu rezipierende Ausstellung auch Karikaturen der Zeit. Zu sehen ist auch „Phryne vor den Richtern“, eine glatt gemalte, lustbetonte antike Anekdote von Jean-Léon Gérome. Zwar ist die Entblößung der wegen Blasphemie angeklagten Hetäre vor ihren Richtern auch als Kritik der Kunstbetrachtung zu lesen. Aber das exotische Thema und die akademische Malweise entsprachen ganz dem Geschmack des Salon-Publikums – und es zählt auch heute noch zu einem Lieblingsbild vieler Kunsthallenbesucher in Hamburg.
So und ähnlich sah die Konkurrenz Manets damals aus. Der größte Aufmerksamkeitskiller war aber die schiere Zahl der Gemälde: Zwischen 2.000 bis 7.000 Bilder wurden in diesen großen Ausstellungen gehängt. Da mussten die Maler schon große historische Ereignisse schildern – oder viel nackte Haut zeigen –, um überhaupt aufzufallen. Oder das Bild machte sich eben durch direkten Blickkontakt dem diskutierenden Publikum bemerkbar. Manet, zum Salon mal angenommen, mal brüsk zurückgewiesen, schaffte jedes Mal einen Skandal – seine Berühmtheit wuchs so oder so.
Kalkulierte Skandale
Dank Leihgaben aus über dreißig Museen kann die sechs Jahre lang geplante Ausstellung auch einige der Bildpaare zeigen, die Manet zu den Salons eingereicht hatte. Denn jedem Künstler waren zwei Werke erlaubt. So treffen sich „Le Balcon“ (heute Paris) und „Das Frühstück im Atelier“ (heute München) vom Salon 1869 wieder und „Jean-Baptiste Faure in der Rolle des Hamlet“ (heute Essen) und die „Nana“, die 1877 eingereicht wurden.
Das provokante Hamburger Bild der in Unterwäsche Beobachteten und selbst die Voyeure beobachtenden Dame wurde allerdings abgelehnt. Darauf zeigt sich eine weitere sehr moderne Haltung Manets: seine Fähigkeit zur Selbstvermarktung. Kurzerhand zeigt er das Anstoß erregende Bild nämlich im Schaufenster eines Kaufhauses. Schon 1867 hatte er anlässlich der Pariser Weltausstellung unweit des offiziellen Ausstellungsgeländes seine Bilder in einem eigens dafür errichteten Pavillon präsentiert. Es hilft natürlich auch, wenn man aus einer gut situierten Familie kommt und nicht unbedingt verkaufen muss, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Dialog mit dem Publikum
Die Modernität der Kunst Edouard Manets wird in dieser Ausstellung nicht in Stilfragen zwischen Realismus und Impressionismus gesucht, auch nicht im malerischen Duktus oder der Motivwahl. Die These ist, dass das Sehen selbst thematisiert wird: nicht als Blick des Herrschers oder des Familienvaters, auch nicht allegorisch oder analytisch, sondern in einer Art Dialog mit dem Publikum einer öffentlichen Ausstellung. Lässt man sich auf den Ansatz ein, wird das Bild aktiv. Mal guckt es versonnen, mal fordernd zurück. Und scheint zu fragen, was denn die Betrachter in der Welt so sehen – und wie sie selbst gern gesehen werden wollen.
„Manet – Sehen. Der Blick der Moderne“: bis 4. September, Hamburger Kunsthalle
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