Der ewig enttäuschende Geheimfavorit

Belgien Im Fifa-Coca-Cola-World-Ranking liegen die Belgier auf Platz 2, und keiner weiß, warum. Weshalb sie auch bei der EM als Geheimfavorit gehandelt werden, auch nicht

Ein Belgier im italienischen Überfliegerwürgegriff am 13. Juni in Lyon Foto: Kai Pfaffenbach/reuters

von Johannes Kopp

Sie werden ihren guten Ruf einfach nicht los. Das belgische Team bleibt ein fortwährendes Versprechen. Es ist ein Phänomen, an dem sich niemand zu stören scheint, obwohl es bislang bei Verheißungen geblieben ist.

Am Montagabend in Lyon reihte sich auch der italienische Nationalspieler Emanuelle Giaccherini in die große Schar der Belgien-Bewunderer ein. Die Behauptung, dass von den großen belgischen fußballerischen Fähigkeiten bei der 0:2-Niederlage gegen Italien nichts zu sehen gewesen sei, wollte der Mittelfeldspieler so nicht stehen lassen.

„Wir haben sie vielleicht nicht gesehen, aber wir haben sie gewiss gespürt“, erwiderte derjenige, der sein Team nach einem groben Abwehrfehler der Belgier in Führung gebracht hatte. Und er betonte, die Mannschaft hätte viel mehr zu tun gehabt, als das normalerweise der Fall sei.

Antonio Conte, der Coach der Squadra Azzurra, will die große Klasse der Belgier sogar gesehen haben. Sie haben ihre Stärken gezeigt, behauptete er. Und er erklärte: „Dieses Ergebnis verringert nicht im Geringsten die Chancen von Belgien, Europameister zu werden.“

Eine verblüffende Einschätzung angesichts der Hilflosigkeit, mit der etwa Kevin De Bruy­ne oder Eden Hazard, beide eigentlich Meister in der Kunst des Dribblings und des Kombinationsfußballs, an diesem Abend recht unkoordiniert versuchten, den italienischen Abwehrriegel zu überwinden. Vielleicht aber gehörten diese Blumen für den unterlegenen Gegner auch nur zu den zahlreichen Tricks und Kniffen, über welche die abgezockten Italiener verfügen.

Wer die Geschichte des belgischen Teams verfolgt hat, weiß: Diesen Gegner muss man nur stark genug reden, um ihn zu schwächen. Bereits vor zwei Jahren klappte das bestens, als die Mannschaft von Marc Wilmots von aller Welt als Geheimfavorit gehypt wurde und eine kaum weniger blasse Figur abgab als Ecuador oder Iran. Aufgrund seiner fraglos zahlreichen Einzelkönner stand Belgien bei der EM-Favoritenkür erneut weit oben auf der Liste – wenn auch wieder als „geheim“.

Dieser Status schraubt die Erwartungen der zahlreich mitgereisten Fans in große Höhen. Der Lärm, den sie im Parc Olympique Lyonnais vor allem vor der Partie veranstalteten, erweckte auch akustisch den Eindruck, etwas ganz Großes zu erwarten. Dem Druck war das Team aber wieder einmal nicht gewachsen.

Nichts gelernt aus der WM

Obwohl die Italiener mit ihrem hinlänglich bekannten, defensiv ausgerichteten Spielstil eigentlich kaum jemanden überraschen konnten, schienen die Belgier ohne ein Rezept in diese Partie gegangen zu sein. Sie wirkten geradezu unvorbereitet. Weil kaum ein Durchkommen war, nahm man das Tor von Gianluigi Buffon vornehmlich aus der Distanz unter Beschuss. Ernüchtert stellte Torhüter Thibaut Courtois nach der Partie fest: „Sie waren besser organisiert und taktisch das bessere Team.“

Mit dieser Bemerkung stellte er seinem Trainer Marc Wilmots kein gutes Zeugnis aus. Es deutet nichts darauf hin, dass Belgien aus den WM-Erfahrungen 2014 gelernt hätte. Etwas Grundsätzliches stimmt in der Ausrichtung des belgischen Spiels nicht. Es ist lediglich ein Ensemble von Einzelkönnern. Über die mangelhaften Mechanismen des Gesamtgefüges wollte Wilmots aber am Montagabend nicht sprechen, als er mit der Frage konfrontiert wurde, ob die Taktik falsch gewesen sei. Er verwies darauf, dass der erste für das Spiel so maßgebliche Treffer nur aufgrund eines individuellen Fehlers gefallen sei. Auf europäischem Topniveau könne man es sich nicht erlauben, einen Pass, der über das halbe Feld gespielt wird, zu unterlaufen.

Das klang nicht gerade nach der Einsicht, größere Zusammenhänge in Frage zu stellen. Nach dem ersten Turnierspiel ist das vielleicht auch nur zu verständlich. Augen zu und durch heißt jetzt die Parole. „Nichts ist vorbei“, sagte Marc Wilmots. „Wenn wir die nächsten zwei Spiele gewinnen, können wir immer noch unser Hauptziel, das Überstehen der Gruppenphase, erreichen.“ Der ehemalige Schalker Profi weiß genau, dass seine Landsleute die Messlatte für den Erfolg viel höher gehängt haben. Das Achtelfinale bleibt bei Gegnern wie Irland und Schweden gewiss realistisch.

Wenn dann wieder ein Kontrahent größerer Klasse auf der anderen Seite steht, müssten sich die Belgier aber mal etwas Neues einfallen lassen. Aber genau das wird zu einem Problem für das Team und Marc Wilmots werden.