piwik no script img

Die Spiele der Fußball-EM teilen den Tag zeitlich wunderbar einCrémant ist glücklicherweise erlaubt, weil nicht verboten

Ausgehen und Rumstehen

von Jenni Zylka

Wieso ist die Stadt so leer, grummelt der Taxifahrer am Freitag. Ist doch entspannend, sage ich, wie zu Mauerzeiten! Die Spiele teilen den Tag zeitlich wunderbar ein: Vor 15 Uhr alles Wichtige erledigen, dann grölen, zwischen 17 und 18 Uhr essen, dann grölen, zwischen 20 und 21 Uhr noch mal essen oder wen ins Bett schicken oder Mails beantworten, dann grölen, dann ausgehen in leere Kneipen. Herrlich.

Die Straßen sind dafür nicht ganz so leer: Auf dem Weg von einer in die andere Bar treten wir fast auf eine betrunkene Frau, die am Alex auf dem Boden sitzt. Sie hat Schwierigkeiten, hochzukommen, und möchte außerdem den betrunkenen Mann loswerden, der neben ihr schwankt. Er soll nicht mit in die Wohnung hinein, will aber, wir schätzen das Gefahrenpotenzial: Reicht freundliche Ansprache? Oder muss ein Schupo ran? Aber er lässt sich friedlich überreden und trippelt in Schlangenlinien von dannen, während wir für die Frau die Tür aufschließen, weil das Schlüsselloch plötzlich verschwommen aussieht.

Sind das nur graduelle Unterschiede, sollen wir vielleicht doch Abstinenzler werden, stelle ich später in der Bar zur Debatte, Credo: „We agree to abstain from all liquors of an intoxicating quality whether ale, porter, wine or ardent spirits, except as medicine“? Allerdings: Crémant ist in dieser Aufzählung von 1833 nicht enthalten, ein Glück! Wir trinken also auf die traurige Türkei, die von den Spaniern rasiert wurde, und als ein Thekennachbar verwundert „Wieso bist du denn für die Türkei?“ fragt, würde ich am liebsten mit dem alten Prinzessinnenzitat „Ich komm aus Kreuzberg, du Muschi!“ antworten.

Am nächsten Abend probe ich während der Fahrt mit der leeren U-Bahn im Kopf mal wieder das typische Kontrolleursgespräch, just in case: Ich WOLLTE ja ein Ticket kaufen, aber wenn die Touris SOOOO lange vor dem EINZIGEN funktionierenden Automaten stehen und tippen und tippen, und dann kommt die Bahn, und ich muss die Verbindung kriegen, und überhaupt! Gilt das nicht?! Glücklicherweise gucken auch die KontrolleurInnen Portugal – Österreich (ich hatte nach Island meinen Fußballtag beendet), und alles geht glatt. Wir treffen uns in einer Cocktailbar, und bekommen dort vom Barmann eine Flasche Rum auf die Schöße geschüttet, aus Versehen – glücklicherweise keinen braunen. Und mein Kleid hatte eh Flecken, die sind jetzt raus.

Später gehen wir in einen Club in Mitte, anstatt zu tanzen, quatschen wir uns aber beim Thema „Nervige Eigenheiten“ fest. Ich finde besonders doof: wenn Frauen nicht richtig Flaschenbier trinken können, sondern die Bouteille abgewinkelt an den Mund halten und daran nuckeln. Das erste, was mein Vater mir beigebracht hat, sagt meine Begleitung, war: Wenn du aus einer Flasche trinkst, musst du Luft hineinlassen, sonst entsteht ein Vakuum! Sic, sage ich, stolz, es endlich mal richtig anzuwenden. Genauso hasse ich, wenn Frauen in Filmen beim Essen mit zum Kreis geformten Zeigefinger und Daumen nur ganz kleine Häppchen in den Mund stecken. Oder wenn sie sich an großen dampfenden Teetassen wärmen. Und dazu Strickjacken mit überlangen Ärmeln tragen. Das Aller-allerschlimmste ist aber, wenn jemand „Gänsehaut pur!“ sagt. Und das auch noch in einem Radionachbericht zu einem Livekonzert. Am liebsten würde ich jene ominöse „Gänsehaut pur“-Datei einfach aus den Radioarchiven löschen, in der die beiden Worte – von 500 verschiedenen Menschen gesprochen – gesichert wurden.

Nachts auf dem Heimweg regnet es Hunde und Katzen, sodass mir rechtschaffen kalt wird. Aber was sage ich dennoch nicht, nie, solange ich lebe und atme und regelmäßig Piloerektionen habe? Genau.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen