: Mit Party-Girls im Monster-Truck
Opernpremiere Rodrigo García gibt auf der Bühne der Deutschen Oper eine Fete für sich selbst. Donnald Runnicles versucht derweil, Wolfgang Amadeus Mozarts „Entführung aus dem Serail“ zu spielen
Es geht los mit einem langen Videoclip. Donnald Runnicles dirigiert dazu das Orchester der Deutschen Oper, aber die Bilder laufen ihm davon. Der Produzent hätte noch mal nacharbeiten müssen. Der Film ist schlecht geschnitten; der Sound viel zu brav mit zu viel Geigen. 1980er Jahre halt, aber 1782! Krass.
Ein Typ fährt mit zwei Party-Girls Achterbahn im Monster-Truck. Die eine muss kotzen. Dann kommt der Dragster live auf die Bühne gerollt. Die Mädchen sind weg. Ein zweiter Typ sitzt jetzt im Führerhaus. Der erste fängt an zu singen, sehr hoch, wieder zu dünn und dann auch noch falsch. „Where the fuck we are“, fragen sie sich. Blöde Frage, jetzt läuft ein Porno im Zeitraffer auf der Videokugel.
Ein flotter Dreier gleich mehrfach, aber es gibt Ärger mit dem Türsteher. „Erst geköpft, dann gehangen, dann gespießt auf heiße Stangen“, und so weiter. Ist ja nicht bös gemeint, und wir haben Crystal Meth, gleich ein ganzes Labor voll. Es dampft wunderbar aus den Kesseln und Retorten; die Party ist gerettet.
Nur dauert es arg lang, bis sie auch nur ein wenig in Fahrt kommt. Die Frauen haben fast nichts oder gar nichts an, stellen sich brav an die Rampe und sehen gut aus. Aber das Tempo fehlt. Die mit dem schwarzen BH singt viel zu lang. Und immer dieser Retro-Sound, irrsinnig hoch und verdreht, dazu öde Texte, in denen es ständig um Liebe, Treue und andere Herzbeschwerden geht.
Getöse, Sex und Video
Dann geht auch noch das Licht aus. Wir haben Pause. Man steht im Foyer herum und fragt sich womöglich, was das Ganze soll. Nur ist genau das die dümmste aller Fragen. Dietmar Schwarz, der Intendant, hat den argentinischen Theatermann Rodrigo García eingekauft, gut bekannt in der Stadt seit seinen mehrfachen Aufritten an der Schaubühne. García ist ein Star des Sprechtheaters, weil er immer nur seine eigenen Texte auf die Bühne bringt, stets mit viel Getöse, Sex und Video. Allein um ihn geht es an diesem Abend, es ist seine Party und seine Welt, in der er sich spiegelt und wohl fühlt.
Es ist ein Theater des Einverständnisses. Es kennt keine anderen Perspektiven – weder auf die Gegenwart noch auf das Werk, das in Wirklichkeit gar nicht aufgeführt wird. Es geht ausschließlich um die Attitüden provokanter Selbstdarstellung. Annabelle Mandeng kann es am besten. Sie macht Fernsehen, sie kochte beim Promi-Dinner und sprang bei Stefan Raab vom Turm. In der Deutschen Oper sinniert sie als Bassa Selim langwierig über das Leben der Schönen und Angesagten. Sie hat auch das Schlusswort. Die Liebe reicht sowieso nur bis zur nächsten Tankstelle, vermutet sie und hat wahrscheinlich recht. Dann spricht sie endlich aus, was allen am Herzen liegt: Sie werden zurückkehren, die entflohenen Paare, weil es hier einfach „am schönsten“ ist.
Es sei ihnen gegönnt. Nicht so wohlig allerdings dürften sich Donald Runnicles und sein junges Ensemble gefühlt haben, die ernsthaft versuchten, „Die Entführung aus dem Serail“ von Wolfgang Amadeus Mozart aufzuführen. Natürlich konnte ihnen das nicht gelingen. Man sollte Nachsicht üben, vor allem mit der jungen Amerikanerin Kathryn Lewek, die schon mal als Königin der Nacht an der Met geglänzt haben soll. In Rodrigo Garcías Berliner Szenekneipe scheitert sie kläglich an den berüchtigten Koloraturen der Konstanze, die Mozart ja nur für seinen damaligen Superstar Caterina Cavalieri in die Rolle geschrieben hatte. Auch Matthew Newlin kann vermutlich mit seinem zarten Knabentenor besser und mit weniger falschen Tönen singen als am vergangenen Freitag in der Premiere. Verantwortlich dafür ist allein Dietmar Schwarz, der immer noch nicht verstanden hat, dass er an der Deutschen Oper arbeitet. Niklaus Hablützel
Nächste Vorstellungen: 22., 25., 28. Juni
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