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Krass, echt

Inszenierung Das Zentrum für Politische Schönheit erklärt seine Aktion „Flüchtlinge fressen. Not und Spiele“

Ein Märtyrertod vor aller Augen. Diese Rhetorik verursacht einem Bauchschmerzen

BERLIN taz | Das Zentrum für Politische Schönheit lud gestern in Berlin zu einer sogenannten Pressekonferenz ins Gorki-Theater ein. „Bundeserpressungskonferenz“ stand groß über dem Podium, ein Konterfei von Joachim Gauck lehnte am Rand. Vor dem Theater ist eine Arena aufgebaut, mit Käfigen, von echten Tigern bewohnt. Die sind Statisten bei der geplanten Aktion „Flüchtlinge fressen. Not und Spiele“.

Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS), das ist jene große Gruppe von Aktivisten und Künstlern, die schon mehrfach mit Aktionen wie „Die Toten kommen“ oder „Erster Europäischer Mauerfall“ die deutsche Flüchtlingspolitik kritisiert und kommentiert haben. Im Gorki-Theater zeigten sie zuerst einen Film, mit Bildern von Flüchtlingen und einer Rechnung: Wenn jeden Monat nur 100 Flüchtlinge legal aus der Türkei mit dem Flugzeug ausreisen dürfen, wie es der EU-Türkei-Deal vorsieht, müssen einige dort 146 Jahre auf ihre Ausreise warten.

Das ZPS plant nun, mit einem Flugzeug, das sie „Joachim I“ nennen, am 28. Juni selbst 100 syrische Flüchtlinge, die Anrecht auf Asyl haben, aus der Türkei nach Deutschland zufliegen. Man würde ihnen damit die teuren Schlepper ersparen und den gefährlichen Weg über das Meer. Die 100 Syrer haben nach Angaben des Zentrums schon Verwandte in Deutschland, ihre Papier habe man bereits dem Kanzleramt weitergeleitet. Für den Flug sammelt das Zentrum Spenden. So weit, so gut.

Das ist aber erst ein Teil der Aktion. Später kommen auch Tiger ins Spiel – und dann wird es fragwürdig.

Bisher ist den Fluggesellschaften das Mitnehmen von Flüchtlingen ohne Visa untersagt beziehungsweise durch eine EU-Richtlinie verboten. Laut Paragraf 63 des deutschen Aufenthaltsgesetzes droht Beförderungsunternehmern zudem eine Geldstrafe von bis zu 5.000 Euro für jeden Fluggast ohne Papiere.

Das ZPS fordert nun den Bundespräsidenten Joachim Gauck auf, diesen Paragrafen streichen zu lassen. Sie machen mit allen Mitteln ihres theatralisch-moralischen Apparats so richtig drastisch Druck. Die Politik unter Sachzwang setzen, das ist ihr Ziel. Die Drohung lautet, scheitert die Aktion, suchen sie Flüchtlinge, die sich freiwillig von den Tigern fressen lassen. Märtyrertod vor aller Augen sozusagen.

Die Tiger kommen ins Spiel, weil das ZPS die EU-Politik, die Zahl der Flüchtlinge möglichst klein zu halten, überblendet mit der Geschichte des römischen Zirkus. Angela Merkel und andere Politiker werden in ihren Videoclips in rote Imperatoren-Gewänder gekleidet. So wie die in der Antike über Leben und Tod der Gladiatoren entscheiden konnten, so entscheide nun jeder EU-Bürger, das legt die ZPS-Rhetorik nahe, über Leben und Tod der Flüchtlinge. Wer nicht für die Gesetzesänderung kämpft – und zwar in den nächsten 13 Tagen –, hat dann den Daumen gesenkt und wird mitverantwortlich gemacht, wenn weitere Menschen auf ihrer Flucht sterben. Diese Rhetorik verursacht einem Bauchschmerzen.

Aber genau das will sie auch. Klar sei ihre Aktion geschmacklos und zynisch, sagte Theresia Braus von dem ZPS auf dem Podium, aber die Wirklichkeit selbst sei es eben auch.

Bis zum 28. Juni soll nun in der Arena vor dem Theater, das für die Betreuung der Tiger und ihre Statistenverträge aufkommt, täglich eine Tigershow laufen und anschließend diskutiert werden im Garten hinter dem Haus. Katrin Bettina Müller

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