: Testosteron-bepappte Draufgänger
Korruption Philipp Leinemann erzählt aus der Innenwelt der SEK-Leute („Wir waren Könige“, 23.35 Uhr, ZDF)
von Jens Müller
Der Goldene Berlinale-Bär ging 2008 an „Tropa de Elite“: einen Film über die Bope-Spezialeinheit der Militärpolizei von Rio de Janeiro; über gnadenlose Brutalität auch auf der vermeintlichen Seite des Gesetzes; über Polizisten, die mit Drogengangs gemeinsame Sache machen; über 50 Shades of Korruption, fragwürdige Ehrbegriffe und ein etwas vages Rechtsstaatsverständnis in einem Schwellenland zwei Jahrzehnte nach der Diktatur. Wer die panzerartigen Fahrzeuge und die mit Sturmgewehren oder Pumpguns ausgerüsteten Polizisten in Rios Favelas einmal mit eigenen Augen gesehen hat, wird den Film für realistisch halten. Aber Brasilien ist weit weg.
Deutsche SEK-Leute sind bekanntlich brave Beamte, Freunde und Helfer, nur etwas fitter als die Kollegen Schutzpolizisten mit den Schmerbäuchen. Dann machten die Kölner SEK-Leute Schlagzeilen. Von erniedrigenden Aufnahmeritualen war zu hören, von Mobbing und von einem für ein Gruppenfoto in luftiger Höhe entwendeten Polizeihubschrauber. Als die Einheit schließlich aufgelöst wurde, sollen die Elitepolizisten ihren Gruppenraum mit Kettensägen zerlegt haben. 2015 war das – da lag die Diktatur in Köln immerhin schon siebzig Jahre zurück.
Das im Hinterkopf, macht einen „Wir waren Könige“, Erscheinungsjahr 2014, umso mehr staunen. Sonst hätte man den Film wohl für eine ähnliche Räuberpistole gehalten wie 1994 Dominik Grafs „Die Sieger“. Graf („Im Angesicht des Verbrechens“) hatte auch schon das Testosteronsatte und Männerbündische seiner SEK-Jungs betont, aber er wollte damals das ganz große Rad des Politthrillers drehen, mit Finale auf der Bergstation in den Alpen: à la James Bond.
Philipp Leinemanns Debütfilm „Wir waren Könige“ (Buch und Regie) spielt vor und in den Wohnblocks, auf der Bowlingbahn und der Polizeiwache (Mottospruch im Chefzimmer: „Wir siegen“), auf den Parkplätzen und im Stadtwald einer namen- und trostlosen deutschen Großstadt.
In dieser Umwelt heißt korrupt sein nicht, das große Ding zu drehen: „Ach komm schon, wir haben alle schon mal was beiseitegelegt“, sagt Mendes (Mišel Matičević) zu Kevin (Ronald Zehrfeld), als die beiden Protagonisten schon längst Antagonisten geworden sind.
Je mehr ihm die Dinge entgleiten, desto mehr ist Mendes bereit, eine Grenze nach der anderen zu überschreiten, um „die Jungs“, „unser Team“ zusammenzuhalten. Kevin ist ein unverbesserlicher Moralist, er fragt: „Was macht den Unterschied zwischen uns und denen, wenn wir mit so was durchkommen?“ Antwort von einem Vorgesetzten (Bernhard Schütz): „Weil wir’s können.“
Alles fing an aus dem Ruder zu laufen, als bei einem Routine-Einsatz ein Kollege schwer verletzt, zwei Gangster daraufhin erschossen wurden. Notwehr? Jetzt gälte es, den Ball Flach zu halten. Aber zwei SEK-Leute werden ermordet. Zwei rivalisierende Jugendgangs und die Türsteherszene mischen mit. Gangleader Thorsten will mit seiner Freundin raus aus den Verhältnissen – aber der zehnjährige Nasim will nichts mehr als seine Freundschaft. Mit kindlicher Unbedarftheit, keinesfalls Unschuld, manipuliert und intrigiert er und setzt einen fatalen Reigen von – beinahe – Iñárritu-hafter Determiniertheit (und Konstruiertheit) in Gang, der weitere Menschenleben kosten wird.
Und der mit dem Authentizitätsanspruch des Films nicht auf einen Nenner zu bringen ist. So wenig wie das auftrumpfende Pathos von Musik und vorangestelltem Goethe-Zitat: „Fürchterlich ist der Bedrängten Unschuld letzter Blick.“
Sonst noch ein Einwand? Aus BR-Produktionen ist der „Bub“ bekannt – aber sollte es den „Bengel“, von dem hier immer die Rede ist, im allgemeinen Sprachgebrauch tatsächlich noch geben? Egal, wenn es den Polizeichef Thomas Thieme gibt: „Ich habe das Gefühl, diese Einheit besteht nur noch aus Testosteron-bepappten Draufgängern! Die noch dazu zu blöde sind, so’n verfluchten Bengel festzunehmen!“ Dieser Sesselfurzer Hartmann ist ein lauter Choleriker und leiser Zyniker – und Thieme ergo die Idealbesetzung. „Weil das Casting ist eigentlich die Regiearbeit bei so einem Film“, sagt der Regisseur.
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