: „Für mich kein Punk“
JUBILÄUM Das Bremer „Trust“ ist eines der dienstältesten Punk- und Hardcore-Fanzines. Das feiert nicht nur der Herausgeber
Interview Benjamin Moldenhauer
taz: Herr Hermannstädter, die erste Ausgabe des Trust erschien 1986. 30 Jahre sind eine lange Zeit für ein Fanzine. Wie konnte ausgerechnet Punk zu einer so langlebigen Subkultur werden?
Dolf Hermannstädter: Punk ist interessant, weil es keine Regeln gibt. Dafür gibt es viel Raum zur Entfaltung und zur Identifikation: Man ist Punk, kann aber tun, was man will, und mit den obskursten Formen erfolgreich sein. In den meisten Fällen ist das Punk-Sein nur eine Phase. Bei uns nicht.
Wie definieren Sie Punk? Reicht es, zu tun, was man will?
Wir haben das Trust 1986 auch als Auflehnung gegen den damaligen Punk gegründet. Der hat sich überwiegend durch Dummheit, gepaart mit Besoffensein, Drogenkonsum und Gewalt definiert. Ich kann schon verstehen, was Menschen an Drei-Akkorde-Punk geil finden. Ich versteh ja auch, was Menschen an Volksmusik geil finden. Da hatten wir nur keinen Bock drauf. Die Idee von Punk fanden wir aber spannend: Das A und O in meinem Punk-Verständnis ist schlicht, das zu tun, was man sagt. Eine Band, die von Anti-Kommerzialismus redet, um dann mit einer rein kommerziell orientierten Agentur im Rücken auf den teuersten Festivals zu spielen, ist für mich kein Punk.
Sie sagen, dass Sie heute viel seltener auf Konzerte gehen. Ist Ihre politische Kolumne inzwischen wichtiger als Musik?
Ich habe schon länger keinen Spaß mehr daran, selbst über Platten zu schreiben, und warum soll ich das dann machen? Da muss man ehrlich zu sich selber sein. Das hat schlicht mit Routine zu tun, das liegt nicht an der Musik. Vor ein paar Jahren hab ich das mal überschlagen: Bis dahin hatte ich zwischen 13.000 und 15.000 Tonträger gehört. Es gibt genügend Leute, die an neuen Bands so viel Freude haben, dass sie drüber schreiben wollen. Insofern ist alles gut. Mir gefällt ja nach wie vor noch gute Musik, nur lass ich mich eben nicht mehr so einfach begeistern.
Wie sind Sie auf die drei Bands gekommen, die am Samstag zum 30-Jährigen spielen?
Ich hätte auch nichts gegen Fugazi, At the Drive-In und Black Flag gehabt, aber das geht halt nicht. Pascow hab ich letztes Jahr zum ersten Mal selbst live gesehen und fand die dermaßen gut. Die Musik ist, was sie ist, die ist nicht schlecht. Aber wie die Band live abgegangen ist, das hat mir total gefallen. Bei Lucky Malice und Decibelles ist es das gleiche. Musikalisch erfinden die das Rad nicht neu, legen aber wahnsinnige Spielfreude an den Tag. Genauso soll es sein: Du gehst irgendwo hin, kennst nicht mal den Namen der Band, stehst da und bist begeistert. Und ich find gut, dass bei uns mehr Musikerinnen als Musiker auftreten, auch wenn wir das nicht geplant haben.
Frühere Fanzines wie OX oder Plastic Bomb bekommt man heute im Bahnhofsbuchhandel, mit CD-Beilage und professionell aufgemacht.Trust ist ästhetisch näher am Fanzine-Layout geblieben. Geht es da um Abgrenzung?
Nicht primär, aber die Abgrenzung kommt uns ganz recht. Wir wollen nicht so werden wie die kommerziell orientierten Musikzeitschriften, bei uns gibt es keine Kopplung von Review und Anzeige. Klassisches Fanzine-Layout stimmt allerdings nicht. Unser Grafiker hat wie alle anderen bei uns künstlerische Freiheit. Wenn man sich anschaut, was der vor zwei, drei Jahren gemacht hat, das findet man heute bei professionellen Zeitschriften. Das ging uns bei den Bands, die wir als erste im Heft hatten, auch oft so. Wenn es ein paar Jahre später hip und geil ist, vergisst man, wer es als Erstes gemacht hat.
Viele Ideen, die im Punk wichtig waren, sind populär geworden: Veganismus oder die Problematisierung von Geschlechterverhältnissen. Eine positive Entwicklung?
51, ist Mitbegründer des Fanzines Trust und Autor des Buchs „Got Me? Hardcore-Punk als Lebensentwurf“.
Inzwischen ist vieles geläufig, was früher nur im Underground präsent war. Generell ist das eine positive Entwicklung, wenn Themen, für die man sich einsetzt, im Spiegel stehen. Der Mainstream lässt die Ideen allerdings unverbindlich werden. Es wird heiß drüber diskutiert, alle wissen, dass Massentierhaltung scheiße ist. Es passiert trotzdem nichts.
In den 80ern war der Ton, in dem über Punk geschrieben wurde, oft denunziatorisch …
Man darf nicht unterschlagen, dass es unter den Punks damals ziemlich viele Arschlöcher gab, die auch zurecht als Arschlöcher bezeichnet wurden. Die gibt es heute auch noch, die kommen aber nicht mehr so stark vor.
An Ihrem Buch „Got me?“ lobte „Spiegel online“ die radikale Subjektivität. Damit geht man heute leicht in der Vielfalt von Lebensentwürfen.
Die Abgrenzung ist schwieriger geworden. Bis vor Kurzem genügte es noch, sich entsprechend zu tätowieren. Das ist schon problematisch für junge Leute, die neue Ausdrucksformen finden wollen – und dann ist das alles schon belegt. Bald muss man sich den Arm amputieren und am Kopf wieder anschweißen lassen.
Trust-Jubiläumskonzert mit Pascow, den Decibelles und Lucky Malice: Samstag, 20 Uhr, Schlachthof
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