Berlinmusik
: Ragas, rein gestimmt

Mathematiker gelten als spröde Zeitgenossen. Ob das auch von der Mathematikerin und Komponistin Catherine Christer Hennix gesagt werden kann, sei dahingestellt. Für ihr Schaffen zumindest gilt das nicht. Hennix ist sogar eine der interessantesten musikalischen Persönlichkeiten, die Berlin als Wohnort gewählt haben. Und eine Pionierin der Minimal Music. Dass man von ihr nicht allzu viel gehört haben mag, liegt ein bisschen daran, dass ihr veröffentlichtes Werk überschaubar ist.

Hennix verlegt sich als abstrakt denkender Mensch gern auf die formalen Aspekte von Musik. Was sich in einer Vorliebe für reine Stimmung bemerkbar macht. Statt sich bei den handelsüblichen Tönen zu bedienen, muss sie diese eigens berechnen. Wobei die reine Stimmung auf ganzzahligen, sogenannten harmonischen Schwingungsverhältnissen beruht, die nach antiker Vorstellung für Intellekt und Seele eine „ordnende“ Wirkung hatten.

Die Stimmungen, deren sich Hennix bedient, klingen nach arabischer Musik. So überrascht es nicht, dass ihrem Ensemble, The Choras(s)an Time-Court Mirage, etwa der Imam Ahmet Muhsin Tüzer angehört. Dessen Gesang, gemeinsam mit Amir Elsaffan und Amirtha Kidambi, klingt für Ohren, die an die zwölf Töne des abendländischen Tonsystems gewöhnt sind, leicht sonderbar.

Hennix’ Komposition „Blues Alif Lam Mim in the Mode of Rag Infinity/Rag Cosmosis“ erinnert denn auch an eine östlich inspirierte Drone-Nummer, über die ein meditatives Gebet angestimmt wird. Was für Töne genau im Spiel sind, die, unterstützt von Bläsern und Elektronik, sich endlos fortzuspinnen scheinen, ist im Einzelnen nicht zu erkennen. Die Wirkung hingegen ist hypnotisch: Es könnte ewig so weitergehen.

Dazu passt der Titel „Stop Time“, den der Tubist Robin Hayward seinem aktuellen Album gegeben hat. Hayward, der ebenfalls in Berlin lebt, bläst unter anderem in Hennix’ Ensemble, und zwar „mikrotonale Tuba“. Mit der man die ganzen abweichenden Töne hervorbringen kann, die auf einem normal gespielten Instrument so nicht zu haben sind. Solche Töne in reiner Stimmung hat Hayward gleichfalls in seiner eigenen Komposition verwendet, dargeboten von Cello, Baritonsaxofon, Elektronik – und Tuba. Der Effekt ist ähnlich psychoaktiv wie bei Hennix: Diese Töne beruhigen und regen an zugleich, sind so ungreifbar wie heftig. Warum auch immer. Tim Caspar Boehme

Catherine Christer Hennix: „Live at Issue Project Room“

Robin Hayward: „Stop Time“ (beide Important Records)