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Schräg neben der Hochkultur

Porträt Jan Kummer ist der Allrounder der Chemnitzer Kunstszene, ein notorischer Autodidakt mit ausgeprägtem Faible fürs Skurrile. Während es seine Söhne mit der Band Kraftklub zu überregionaler Popularität gebracht haben, ist der multiple Künstler vor allem in seiner sächsischen Heimatstadt aktiv

aus Berlin und Chemnitz Ronny Müller

Die Begrüßung ist ein Affront, aber ein netter. „Liebe Brandenburgerinnen, liebe Brandenburger“, eröffnet Jan Kummer Anfang Mai den Abend im Berliner Club Musik & Frieden. Das Chemnitzer Label Atomino Tonträger gibt ein Gastspiel in Berlin, drei Chemnitzer Bands spielen. Kummer leitet als DJ und Conférencier durch den Abend. Er ist hier gewissermaßen der Außenminister der Chemnitzer Kultur und füllt dieses Amt mit staatstragendem Unernst aus: „Chemnitz ist die Perle des Vorerzgebirges. Die Menschen hier sind enorm fleißig und strebsam. Karl Marx war hier 50 Jahre lang Bürgermeister“, fährt er fort. Es folgt eine fünfminütige Ode auf die Stadt und ihre Menschen, an der so gut wie nichts stimmt. In Wahrheit war der Philosoph nie in der Stadt und seine Einwohner sind nicht fleißiger oder fauler als anderswo. Aber deswegen gleich in Bescheidenheit oder Demut vor der Hauptstadt verfallen?

Es ist Stadtmarketing auf Kummer’sche Art. Eine ironische Form von Lokalpatriotismus, ein Stolzsein auf Dinge, auf die sonst keiner stolz ist. „Die Demut wird ja erwartet“, sagt er und dreht den Spieß um. Er liebt solche Auftritte. Wäre es nicht zu dunkel im Saal, man würde das spöttische Zucken in seinen Mundwinkeln sehen. Der Hang zum Schrägen ist der rote Faden – in seinem Leben, in seiner Kunst.

„Ich schätze seltsame Veranstaltungen. Sie lassen mich aus Routinen ausbrechen“, sagt er einige Wochen vorher, Anfang März, beim Gespräch in seiner Chemnitzer Wohnung, einem ehemaligen Fabrikgebäude. Kummer steht in einem großen Raum, der Küche, Wohn- und Schlafzimmer zugleich zu sein scheint und kocht Kaffee. Früher wurden hier Strumpfwaren veredelt. Der Künstler und einige andere haben das Gebäude gekauft. Alles hier versprüht den Charme des Unfertigen. Rund um eine lange Tafel stehen Stühle unterschiedlicher Stile und Jahrzehnte, die Holzdielen sind hier und da ausgebessert, die Wände ungleichmäßig verputzt. In einer Ecke steht noch der Strunk von einem Weihnachtsbaum. Ein Hauch von Boheme liegt über der früheren Industriestadt.

Kummer setzt sich auf einen der Stühle, zündet eine Zigarette an und erzählt. Dass keiner in seiner Familie einen künstlerischen Hintergrund gehabt habe. Dass er bereits seit frühester Kindheit zeichne und dass ihn eigentlich auch nie etwas anderes interessiert habe. Seine Aussprache ist weich. Er ist 1965 in Weimar geboren, lebt jedoch, seit er vier Jahre alt ist, in Chemnitz und hat das örtliche Idiom perfekt verinnerlicht. Das „ch“ wird zum „sch“, das „t“ zum „d“ und das „k“ zum „g“. Das gibt seinen Erzählungen etwas Gemütliches. Kummer erzählt pointiert. Wenn ihm etwas wichtig ist, beugt er sich leicht nach vorn. Immer wieder streut er – parallel zur Zigarettenasche in den Becher auf dem Tisch – Anekdoten ein.

So wie diese: Nach dem Schulabschluss soll Kummer, wie damals üblich, zur Nationalen Volksarmee eingezogen werden. „Das kam für mich überhaupt nicht in Frage, mir da anderthalb Jahre meines Lebens rauben zu lassen“, sagt er und verfinstert den Blick hinter seiner schwarzumrandeten Brille. Er legt sich bei der Musterung mit den Offiziellen an und wird zurückgestuft. Doch Kummer will den Wehrdienst ganz verhindern. Er kommt auf die Idee, sich selbst einen geistigen Defekt anzuerziehen. Nervosität in Kombination mit Herzbeschwerden – das müsste klappen. Zu den wenigen Eingeweihten zählte ein Stasi-Spitzel und Kummer wäre aufgeflogen, wäre in der Zwischenzeit die DDR nicht zugrunde gegangen.

Zu diesem Zeitpunkt, Ende der achtziger Jahre, ist er Teil der Kunstszene von Karl-Marx-Stadt, die er als sehr lebendig beschreibt. Schon damals richtete sich der Blick des Kunstbetriebs und der Öffentlichkeit eher nicht nach Südwestsachsen. „Das gab uns eine gewisse Freiheit“, sagt er.

Schon in den 80ern richtete sich der Blick des Kunstbetriebs und der Öffentlichkeit eher nicht nach Südwestsachsen

Eine Freiheit, die AG Geige bis ins Skurrile hinein strapazieren. Am Karl-Marx-Städter Schauspielhaus lernt Kummer weitere junge KünstlerInnen kennen. Keiner von ihnen spielt bis dahin ein Instrument, doch es geht ihnen um Konzepte, nicht um Handwerk. Mit ihrem avantgardistischen Ansatz aus elektronischer Musik, Visualisierungen und Performancekunst erregen sie Aufmerksamkeit in der gesamten DDR. Die Musik läuft im Jugendradio. Kummer prägt das Projekt als Textschreiber und Sänger. Seine Lyrik ist dadaistisch, assoziativ und ergibt vordergründig keinen Sinn.

Olaf Bender, der 1989 zu AG Geige stößt, beschreibt Kummer als visuelles Zentrum der Gruppe. „Die kantigen Bewegungen waren typisch für ihn. Er war extrem, was die Energie anging.“ AG Geige treten als Fliegenpilze verkleidet auf, als Gurken. Da ist wieder dieses Schräge. Es trägt die Gruppe bis in die für alle neue vereinte BRD hinein. 1993 halten die Mitglieder die Geschichte von AG Geige für auserzählt und lösen die Gruppe auf.

Bis dahin hat sich Kummer von seinen Ideen und seiner Kunst treiben lassen. Nach der Wiedervereinigung, hat er das Gefühl, die Unsicherheit der neuen Zeiten erfordert einen beruflichen Halt. Er gründet in Chemnitz einen Laden für Secondhandkleidung und Schallplatten. „Da war ich noch wirklich der naive Ostler“, blickt er mit gerunzelter Stirn zurück. Es ist das einzige Mal an diesem Nachmittag, dass Kummer Wörter wie „leider“ und „leichtsinnig“ verwendet. Schnell merkt er, dass er nicht zum Einzelhändler geboren ist. Das Leben als selbstständiger Unternehmer frisst seine Zeit und seinen künstlerischen Freiraum.

Er schmeißt hin – und steht plötzlich wieder bei null da. Jetzt wäre der Zeitpunkt, mit der Kunst woanders einen Neuanfang zu wagen. Doch Kummer bleibt über all die Jahre in Chemnitz. Er ist hier verwurzelt. Davon zeugt auch eine kleine goldene Karl-Marx-Büste, die auf seinem Radio steht. „Die Stadt hat sich über die Jahre so verändert. Ich musste sie nicht verlassen, um eine andere Stadt zu erleben“, sagt er. Aber es hat auch nüchterne Gründe. „Hier sind meine Fixkosten geringer.“ Nicht zuletzt hat Chemnitz ihm immer wieder Möglichkeit gegeben, sich einzubringen. In einer größeren Stadt würde einer wie er vielleicht in der Masse untergehen, hier sticht er heraus.

In Sachen überregionale Popularität haben ihm seine beiden Söhne längst den Rang abgelaufen. Felix und Till Kummer sind Texter/Sänger und Bassist bei Kraftklub. Ihre Konzerte füllen mittlerweile große Hallen, die ersten beiden Alben landeten auf Platz eins der Charts. Als die Band bekannter wurde, gaben sich beide den Künstlernamen Brummer. Sie wollten sich nicht am Werk des Vaters messen lassen. „Unsere Eltern kiffen mehr als wir / Wie soll man rebellieren? / Egal wo wir hinkommen, unsere Eltern waren schon eher hier,“ heißt es in „Zu jung“, der ersten Single von 2011. Eine unmissverständliche Botschaft an die Eltern, wenn auch mit ironischem Unterton.

„Ich sehe große Parallelen zwischen Jan und Felix“, sagt Olaf Bender. Dass auch Kummers Kinder einen künstlerischen Weg einschlagen, ist für ihn ein Produkt des festen Zusammenhalts und der Unterstützung innerhalb der Familie, den schon Jan Kummers Eltern vorlebten. „Wenn ich bei ihm nach Hause gekommen bin, dann hingen da seine Kinderbilder ordentlich gerahmt im Wohnzimmer,“ erinnert er sich. Auch heute hängen im Kummer’schen Wohnzimmer wieder Kinderbilder – ordentlich gerahmt, versteht sich.

In einer größeren Stadt würde einer wie Jan Kummer vielleicht in der Masse untergehen, in Chemnitz aber sticht er heraus

Nach der Zeit als Einzelhändler, so um die Jahrtausendwende, fragt Kummer ein Kumpel als Booker für seinen neugegründeten Club Atomino an. Der willigt ein – spontan. Es ist wieder etwas, das er nicht gelernt hat. Nebenher widmet er sich wieder mehr der Kunst und bringt sich die Hinterglasmalerei bei. Einmal mehr ist es gelebter Dilettantismus, ein Ausprobieren. Seine Motive bezeichnet er als „einen Schritt auf der ewigen Suche nach der Gradwanderung zwischen großer Kunst und Trash“. Sozialistische Motive wie Arbeit und Kollektiv verdreht er ins Absurde.

DJ, bildender Künstler, Schauspieler und Kolumnist bei einem Chemnitzer Stadtmagazin – Jan Kummer ist heute vieles. Nur eines ist er nicht: Hochkultur. Die Kunstsammlungen Chemnitz sind renommiert. Bob Dylan hat hier bereits ausgestellt, Andy Warhol, Pablo Picasso. Einen echten Kummer sucht man in dem schicken Museum am Opernplatz hingegen vergebens.

Kummers Stammgalerie Borssenanger findet sich ein paar Gehminuten stadteinwärts in einem prunklosen Flachbau, der ehemaligen Post. Vielleicht, weil er eher Poloshirt ist als Anzug und Hemd. Vielleicht ist seine Maltechnik aber auch einfach ein bisschen zu abseitig, einen Tick zu schräg eben.

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