: Noch wach dank La Ola
EM Im letzten Test erspielt sich das Team des DFB gegen Ungarn einen souveränen, aber glanzlosen 2:0-Erfolg
Aus Gelsenkirchen David Joram
Lukas Podolski war sichtlich gut gelaunt, als er nach dem 2:0-Heimsieg der deutschen Elf gegen Ungarn vor die versammelte Pressemeute trat. Denn wer Geburtstag hat, der freut sich. Außer er heißt Marco Reus, aber das ist eine andere Geschichte. Podolski jedenfalls grinste breit über die Glückwünsche zu seinem 31. Jahrestag seitens der Journaille. „Klar, wollt ihr auch dabei sein?“, antwortete er keck auf die Frage, ob denn gefeiert werde. Gelächter unter den Fragestellern, die von den anderen deutschen Spielern nur staubtrockene Statements serviert bekommen hatten. Aber Poldi ist eben Poldi. Selbst seine Interviewpartner bringt er zum Lachen. Aber genau dafür ist er ja da. So fungiert er schließlich auch im DFB-Team – als kölsche Stimmungskanone.
Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass Julian Draxler, Leroy Sané oder André Schürrle, die Konkurrenten Podolskis auf der linken Mittelfeldseite, um etliches filigraner am Ball sind als der Profi von Galatasaray Istanbul. Und die Tatsache, dass Bundestrainer Joachim Löw das Geburtstagskind als sechsten und somit letzten Einwechselspieler auf den Rasen der Schalker Arena beordert hatte (79. Minute), lässt genauso auf längere Bankaufenthalte bei der EM schließen. Podolski hatte gegen Ungarn keine Möglichkeit mehr, sich in irgendeiner Weise besonders auszuzeichnen. Das lag jedoch nicht an ihm, sondern an jener Spielphase, die in jedem klassischen Freundschaftsspiel mal vorkommen muss.
Es herrschte kollektiver Leerlauf. Manch Fußballfan war vorm heimischen TV-Gerät schon eingeschlafen, die Stadionbesucher hielten sich gerade noch mit La-Ola-Wellen wach. Die zuvor herausgearbeitete 2:0-Führung durch Ádám Langs Eigentor (39.) und den Abstauber von Thomas Müller (63.) hatte 52.104 Zuschauer befriedet. Und sie reichte auch „La Mannschaft“, wie sich das deutsche Team auf Ratschlag seiner Marketingstrategen hin nun nennt. Extra für „La France“, versteht sich. Danach bitte wieder: „die Mannschaft“.
Abgesehen davon, dass der Name aus monetären und (vielleicht) identitätsstiftenden Gründen konstruiert worden ist, passt er doch ganz gut zur Löw’schen Elf. Oder besser: zur Löw’schen Dreiundzwanzig. Alle sind austauschbar, jeder wird gebraucht. So die Botschaft des Bundestrainers in Gelsenkirchen. Weil die Saison lang war und die Reserven begrenzt sind.
Gegen Ungarn offenbarte sich dies etwa beim kraft- und ideenlos wirkenden Mesut Özil. Bei Arsenal London musste Özil in den letzten Monaten nämlich ziemlich viel hin und her laufen. Auch Toni Kroos ging bei Real Madrid bis einschließlich zum europäischen Finale an die Grenze, ebenso Emre Can in Liverpool.
Die Abgestellten aus Dortmund und München haben ebenso Kräfte gelassen. Jérôme Boateng zwickte es gegen Ungarn beispielsweise schon früh in der Leiste, Mats Hummels verpasst das EM-Auftaktspiel gegen die Ukraine sicher. Dazu gibt es Spieler wie Bastian Schweinsteiger oder Benedikt Höwedes, die nach ihren Verletzungspausen noch ein gutes Stück weit von ihrem Leistungslimit entfernt sind. Hinter dem beim FC Bayern oft ignorierten und zwischenzeitlich verletzten Mario Götze und den Wolfsburgern André Schürrle und Julian Draxler liegt wiederum eine enttäuschende Saison. Deshalb ist an Löws Worten einiges dran, wenn er sagt: „Das Turnier wird schwer und kräftezehrend. Wir müssen uns auf Abnutzungskämpfe einstellen. Da ist es wichtig, frische Kräfte zu haben, die auch läuferisch und kämpferisch überzeugen. Es ist gut, wenn man nicht immer mit der gleichen Mannschaft spielt.“
Die Mannschaft, die gegen Ungarn startete, könnte gegen die Ukraine allerdings exakt in derselben Formation auflaufen: Neuer im Tor, Rüdiger und Boateng in der Innenverteidigung, Höwedes und Hector rechts bzw. links verteidigend. Im Mittelfeld könnten Khedira und Kroos das Spiel ankurbeln, in dem sie sich die Bälle (wie gegen Ungarn) schon weit in der eigenen Hälfte holen. Davor die Dreierreihe mit Draxler auf links, Özil zentral und Müller auf rechts, ganz vorne schließlich Götze. So die statische Grundordnung, in der viele Spieler auf unterschiedlichen Positionen einsetzbar sind.
Der Bundestrainer schwankt hinten rechts noch zwischen Höwedes und Kimmich („das sind die zwei Möglichkeiten“). Und im Sturmzentrum könnte auch Mario Gomez statt Götze beginnen. Gomez’ wuchtiger Kopfball bereitete den Weg für Müllers 2:0. Dann würde Götze anstelle des überdreht wirkenden Draxler wahrscheinlich auf links beginnen.
Oder Podolski dürfte doch nochmal ran. Exakt zwölf Jahre nach seinem Debüt in der Nationalelf (beim 0:2 gegen denselben Gegner in Kaiserslautern) ist er zwar immer noch als Stimmungsmacher gebucht. Als nützliche Kraft weiß ihn Löw aber auch zu schätzen, allen Unkenrufen zum Trotz.
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