Unfreiwillig charmant

Softrock Keren Ann spielte am Freitagabend im Grünen Salon ohne H-Saite

Und dann riss ihr die Saite. Es war die H-Saite, und Keren Ann, am Freitagabend im tropischen Grünen Salon zu Gast, hatte weder eine Ersatzgitarre noch einen Roadie dabei. Ihr Tourmanager schlief mitsamt dem neuen Saiten-Satz im Tourbus. Was also tun? Keren Ann, vielsprachiges, viel verwurzeltes Talent aus Israel, entschied sich für die Offensive. Sie spielte also ohne H-Saite weiter, haderte mit sich, holte das Publikum mit ins Boot, rief einen befreundeten Musiker namens Tobias an, der sich über eine 50-stimmige Mailboxnachricht freuen durfte, und hielt durch. Das war im Grunde das Wesentliche: Sie hielt durch.

Letztlich war es sogar ein Glück, dass ihr die Saite riss, denn so wurde aus diesem Abend etwas Besonderes. Wer nämlich mit der Erwartung gekommen war, Keren Ann, 42, würde musikalisch an die flotten Discofox-Nummern ihrer elektronischen Erfolgsplatte „101“ (von 2011) anknüpfen, wurde recht schnell recht arg desillusioniert. Aus der interessanten Frauenfigur mit Topfschnitt in wahlweise schwarz oder platinblond ist optisch und musikalisch inzwischen eine Sheryl Crow geworden: eine Frau, die radiotauglichen, gefälligen Southern-Bluesrock spielt – Stücke, die irgendwie ideologisch klingen, erwartbar und konservativ. Songs, die so klingen, wie sie seit Jahrzehnten eben klingen müssen.

Ihren Look hat Ann entsprechend angepasst: Jetzt wirkt sie wie die kecke, älter gewordene, selbstbewusste Thekenfachkraft, deren Lover mindesttätowiert sind und ebenso in einer Band spielen. Wobei die beiden Jungs, die sie am Freitag dabeihatte, an Unschuld nicht zu übertreffen waren: Sie spielten alles mit und machten auch bei den hilfesuchenden Blicken ihrer Chefin keinen Mucks. Helfen konnten sie ihr nicht.

Immerhin reichte es, um die richtig guten Stücke in einer Art Blondie-Version runterzureißen: das fabulöse „My Name is Trouble“, das zwielichtige „Sugar Mama“, beide von der „101“-Platte, oder auch „Easy Money“ von der neuen, die nachgerade programmatisch „You’re Gonna Get Love“ heißt. Liebe in der Nachtradioversion. Zwei, drei Glanzlichter in einer ansonsten dunklen Landschaft voller musikalischer und textlicher Belanglosigkeiten.

Nun hat Keren Ann schon einiges gemacht. Sie hat französische Platten gemacht, u. a. mit Benjamin Biolay. Sie hat Songs für zahlreiche andere geschrieben, darunter Iggy Pop. Für sie selbst war das Konzert am Freitagabend aber auch eine Ausnahmesituation: Es sei ihr erst das zweite Mal überhaupt passiert, dass ihr eine Saite während eines Auftritts gerissen sei, erzählte sie freimütig. Und sie rede sonst nie mit dem Publikum.

So machte das Malheur ihren Auftritt auf unfreiwillige Art irgendwie doch charmant. Gerade auch, weil der Eintritt vorher mit so seltsam professionellen Sicherheitsmaßnahmen dahergekommen war (inklusive Bändchen und so). Nur an eine Ersatzgitarre hatte niemand gedacht. René Hamann