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Vom Dauerfrust Diskriminierter

Festival und Tagung Die Wochenend-Workshops von „Interventionen 2016 – Refugees in Arts & Education“ ermöglichten es den Teilnehmenden, sich in die Situation von Migrant*innen und Geflüchteten einzufühlen

Blick in den Workshop von „Interventionen – Refugees in Arts & Education“ Foto: Christian Mang

von Andreas Hartmann

Man betritt einen Raum voll wildfremder Menschen, weiß nicht so recht, was einen erwartet. Tuğba Tanyılmaz vom Mi­gra­tionsrat Berlin-Brandenburg und ihre Kollegin Salma A. von GLADT, die geladen haben, um Selbstorganisationen für Migrantinnen und Migranten vorzustellen, reden über die Köpfe der Gäste hinweg Türkisch und Arabisch miteinander, und man versteht kein Wort, außer vielleicht mal dazwischengestreute Begriffe wie „Homophobie“. Alle blicken etwas verdutzt, verlegen, ja leicht düpiert und Tuğba Tanyılmaz lacht sich daraufhin erst mal kaputt.

Im Rahmen der Veranstaltung „Interventionen – Refugees in Arts & Education“, die am Wochenende mit einer Tagung und der Präsentation mi­gran­tischer Selbstorganisationen über die Bühne ging, bringt sie die Nummer mit der Sprach­irritation heute Nachmittag bereits zum zweiten Mal. Die Gruppe davor habe nicht ganz so verdattert geschaut, sagt Tuğba Tanyılmaz auf Englisch, bevor sie ins Deutsche wechselt, vielleicht liegt es ja an der Nachmittagshitze. Aber so ist das eben, wenn man einen fremden Raum betritt und erst mal kein Wort von dem versteht, was gesprochen und ausgehandelt wird. Für Asylsuchende und Geflüchtete ist das Alltag, und in diesen konnten wir uns während der kurzen Performance der beiden Gastgeber wenigstens ansatzweise einmal einfühlen.

Glaubwürdig qua Erfahrung

Sich einfühlen können, das ist der Grundgedanke von Selbst­organisationen von Migranten generell. Von Ausgrenzung und Diskriminierung Betroffene helfen anderen von Ausgrenzung und Diskriminierung Betroffenen. Einfach weil sie es aufgrund ihrer Erfahrung zumindest glaubwürdiger können. „Von uns – für uns – mit uns“ lautet etwa das Motto in einer ausliegenden Broschüre von GLADT, das in den Räumlichkeiten des Migrationsrats Berlin Brandenburg in Kreuzberg untergekommen ist. Lesbische, schwule, queere Personen of Color und/oder mit Migrationshintergrund helfen anderen lesbischen, schwulen, queeren Personen mit Migra­tionshintergrund – das ist die Idee hinter GLADT.

Empathie als Idee migrantischer Selbstorganisationen

Selbstorganisationen wie GLADT gibt es nicht erst, seit Geflüchtete in hoher Zahl nach Deutschland, nach Berlin kommen. Der Migrationsrat, ein Dachverband von über sechzig Migrantenselbstorganisationen, existiert bereits seit zwölf Jahren. Tuğba Tanyılmaz ist die Geschäftsleiterin des Dachverbandes. Sie erzählt, dass sie in ihrem Job jedoch nicht nur am Schreibtisch Anträge ausfüllt, sondern über bestimmte Projekte und Themen auch an Schulen und Universitäten berichtet. Sie ist eine lustige und forsche Erzählerin, die nicht lange die Worte abwägt und lieber Klartext redet. Schule sei scheiße, sagt sie, das sei eh klar, aber es gehe an den Schulen sogar noch schlimmer zu, als man im Allgemeinen denken würde. Einmal sei sie an einer Schule zur Rektorin zitiert worden, die sie erst mal fragte, wo sie denn politisch so stehe. Denn es könne ja sein, dass sie, eine Muslimin, ihre Schüler mit islamistischem Gedankengut indoktrinieren wolle. Dabei wollte sie, sagt Tuğba Tanyılmaz, doch nur über Sexualität reden. Die Sache mit den Vorurteilen und Zuschreibungen sei eben auch bei Didaktikern mit akademischer Bildung ein schwieriges Feld. Wie gerade in den Schulen immer noch mit Klischees gearbeitet werde, sei problematisch und es herrsche große Einfallslosigkeit, wenn es darum gehe, diese einmal nicht zu bedienen, so Tuğba Tanyılmaz. Dabei müsse es doch – nur zum Beispiel – nicht immer eine Familie Schneider sein, die in bestimmten Schulaufgaben ein Haus baue, während Familie Özdemir nur mit Tomaten handeln dürfe. Man könne diese Rollen doch auch einmal umdrehen, sagt sie.

Die kleine Tour zur Selbstorganisationen von Migranten vermittelt so einiges vom Dauerfrust Diskriminierter. Davon kann auch Sun-ju Choi von der Selbstorganisation von Asiaten in Berlin, Korientation, ein paar Meter weiter, in der Kneipe Tante Horst in der Oranienstraße, die von Geflüchteten mitbetrieben wird, berichten. Ihre Organisation befasst sich stärker mit kulturellen Themen, weniger mit praktischer Hilfe für Migranten und Neuankömmlinge. Die aktivistische Gruppe veranstaltet asiatische Filmfestivals und beschäftigt sich mit Fragen wie etwa der Repräsentation der Asiaten im deutschen Fernsehen. Koreaner, erzählt sie, die bis zum Anwerbestopp Anfang der Siebziger gezielt nach Deutschland geholt wurden, bekamen bei ihrer Ankunft erst mal einen neuen Namen verpasst wie „Maria“. Als ob das Fremde einfach ausgelöscht werden sollte. Deshalb wurde Korientation gegründet: um sichtbar zu werden.

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