: Sammeltaxi für eine Oper
Musikaustausch Heute Belgrad, demnächst Istanbul: Die Komische Oper schickt einen Bus längs der ehemaligen Gastarbeiter-Route und lässt dabei von Fern- und Heimweh singen und erzählen
von Annika Glunz
„Su gibi gidin, su gibi gelin“ – Wasser, das fließt, bahnt sich immer irgendwie einen Weg zum Ziel. Im Sinne dieser frei übersetzten türkischen Redewendung wurde am vergangenen Wochenende der „Operndolmus“ der Komischen Oper traditionsgemäß mit einer ordentlichen Ladung Wasser verabschiedet.
Der Tourbus, der seinen Namen aus der türkischen Bezeichnung für Sammeltaxis bezieht, macht heute in Belgrad Station – beladen mit fünf OperndarstellerInnen, Instrumenten und Bühnenequipment. Er ist auf dem Weg entlang der ehemaligen Gastarbeiterroute, wird noch in Sofia halten, bis er am 7. Juni in Istanbul ankommt.
Die Route beschreibt die Strecke, auf der diverse aus der Türkei stammende Familien, die als „Gastarbeiter“ in verschiedenen Ländern Nordwesteuropas beschäftigt waren, sich von Anfang der 70er bis zum Anfang der 90er Jahre in den Ferien auf den Weg in die Heimat machten.
Die komplette Opernaufführung, die mit allem Drum und Dran an jeder Station aus dem Bus gezaubert wird, feierte vor ihrem Reiseantritt erst einmal im Kreuzberg-Friedrichshain-Museum ihre Premiere. Thema des türkischsprachigen Musikdramas ist die Hin- und Hergerissenheit zwischen Fern- und Heimweh und die Frage nach dem „Wo bin ich zu Hause?“. Dieses Thema wird auf sehr temperamentvolle und lebendige Art und Weise von Johannes Dunz (Tenor) und Julia Domke (Sopran) aufgegriffen, deren Gesang von einer Violine, einem Kontrabass und einem Bajan begleitet werden.
Die Besetzung ist auf ein Minimum reduziert, die Stücke, die gespielt werden, sind allesamt aus großen Opern entnommen und für wenige Instrumente umgeschrieben. Diese Reduktion tat dem Ganzen jedoch keinen Abbruch, eher im Gegenteil: Juri Tarasenók ist so sehr eins mit seinem Bajan, dass man den Eindruck hat, es würden gleich mehrere Instrumente auf einmal gespielt, Arnulf Balhorn gibt auf dem Kontrabass auch gern zwischendurch Trommeleinlagen, und Andreas Bräutigam fidelt sich lachend mit seiner Violine durch die Aufs und Abs der Stimmungen, während Julia Domke und Johannes Dunz gesanglich und schauspielerisch einwandfrei strahlend über die Bühne wirbeln.
Die Idee des „Operndolmus“ ist nicht neu – der Bus ist schon seit der Spielzeit 2012/13 unterwegs. Allerdings trat das Ensemble bisher nur in Berliner Kiezen auf, in denen viele Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen leben.
Man merkt deutlich, dass den DarstellerInnen herzlich wenig an einer frontalen Bühnensituation gelegen ist: Häufig verlassen sie die Bühne, um das Publikum aktiv in das Geschehen mit einzubeziehen. Die Freude, die das Ensemble auf der Bühne ausstrahlte und die ohnehin schon ansteckende Wirkung auf das Publikum hatte, verstärkte sich so noch, und alle fünf DarstellerInnen bewiesen große Spontaneität und Improvisationstalent, als es darum ging, auch unerwartete Reaktionen des Publikums mit in das Bühnengeschehen einfließen zu lassen.
Fester Teil des Programms ist der Einbezug von Zeitzeugen. Nach dem Ende der Aufführung berichtete ein Teilnehmer, dessen Eltern als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen waren, von seinen Erfahrungen auf der Gastarbeiterroute: „Ich bin in Neukölln aufgewachsen und da das ganze Jahr über nicht rausgekommen. Bis auf einmal pro Jahr, wo wir dann aber für eine Strecke auch gleich drei Tage lang unterwegs waren. Wir haben uns dann immer mit anderen Familien aus Holland oder Belgien verabredet an einer ganz bestimmten Tankstelle in Süddeutschland. Da es damals ja aber noch keine Handys gab, waren wir darauf angewiesen, dass uns jeweils unterwegs nichts dazwischenkam. Und so haben wir dann manchmal drei, vier Stunden lang an der Tankstelle aufeinander gewartet.“
Im Laufe des Abends wurde immer deutlicher, dass große Teile des Publikums ebenfalls auf längere Erfahrungen mit der Gastarbeiterroute zurückblickten, sodass immer mehr Geschichten zutage kamen und ein freudiger, herzlicher Austausch innerhalb des Publikums entstehen konnte.
„Su gibi gidin, su gibi gelin“ – wer so viel Freude bei der Aufführung von Opern an den Tag legt, der wird sich mit Sicherheit einen Weg bahnen.
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