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Jenseits von Zeit und Raum

Studieren Die Nutzung mobiler Technologien verändert das universitäre Lernen und erfordert eine Neustrukturierung physischer Lernräume auf dem Campus

Online lernen: warum nicht auch bei der Ballett-Ausbildung? Foto: Ilya Naymushin/reuters

von Anna Löhlein

Knapp 2,8 Millionen Studierende sind an Deutschlands Hochschulen immatrikuliert, die meisten von ihnen verfügen über portable digitale Endgeräte und eine zeitgemäße „Always on“-Mentalität. Denn wer im digitalen Zeitalter aufgewachsen ist, nutzt Netbook, Smartphone und Tablet-PC so selbstverständlich wie die Generation Analog Kuli und Notizbuch – auch auf dem Campus.

„Das Mobile Learning, also das Lernen mit Smartphone oder Tablet Computer, ist einer der wichtigsten Trends der E-Learning-Branche“, bestätigt Juliane Petrich, Referentin für den Bereich Bildungspolitik und Arbeitsmarkt beim IT-Branchenverband Bitkom.

Doch beim mobilen Lernen auf dem Campus sieht Petrich noch Verbesserungsbedarf: „Es besteht eine große Kluft zwischen digitalem Lebensstil der Studierenden und analoger Wirklichkeit der akademischen Lehre. Häufig setzen Hochschulen auf die „Massifizierung“ durch Onlinekurse, Studierende wünschen sich aber räumliche Unabhängigkeit: Lernen soll überall möglich sein – ob zu Hause, in der Bahn oder auf Reisen. Zeitliche Unabhängigkeit: Lernen, wann und sooft man will, sowie Flexibilität bei Lernpensum und -tempo.“

Neben dem von Ort und Zeit unabhängigen unmittelbaren Zugriff auf Wissen bietet die portable Technologie weitere Möglichkeiten: Zusätzliche Informationen oder Praxisaufgaben können an außeruniversitären Lernorten, etwa auf Exkursionen, bereitgestellt werden, Dozenten am Lernort Podcasts hinterlassen, „Lernhappen“ zur Vorbereitung auf Vorlesungen kurzfristig abgerufen werden.

Infos

Die Aufzeichnung „Lernwanderer: Wie mobile Technologien das Lernen auf dem Campus verändern“ mit den Referentinnen Gudrun Bachmann und Sabina Brandt finden Sie im Internet unter https://www.e-teaching.org/community/communityevents/onlinepodium/lernwanderer

Das mmb Institut – Gesellschaft für Medien- und Kompetenzforschung mbH führt derzeit im Auftrag der Bertelsmann Stiftung eine repräsentative Studie unter dem Titel „Monitor Digitale Bildung Deutschland“ durch, ­deren Ergebnisse im Spätsommer veröffentlicht werden. (al)

Zum derzeitigen Einsatz des mobilen Lernens an Universitäten stellt Ulrich Schmid, geschäftsführender Gesellschafter beim mmb Institut – Gesellschaft für Medien- und Kompetenzforschung mbH, fest, dass viele der „mobilen“ Lernformen einen eher „informellen“ Charakter haben: „Sie dienen in erster Linie dem eigenen Informations- und Wissensbedürfnis und nicht so sehr dem Ziel, eine konkrete Prüfung vorzubereiten oder einen Abschluss zu machen. Im „formalen“ Lernzusammenhang, also für die Lernprozesse an der Hochschule, in der Vorlesung, Übung oder dem Seminar, kommen solche Medien bisher – noch – eher selten zum Einsatz.“

Wie mobiles Lernen den Bedürfnissen der StudentInnen angepasst wird, erklärt Timo Göttel vom Projekt Leon (Learning Environments Online) an der Freien Universität Berlin. Seit zwei Jahren ist Informatiker Göttel im Center für Digitale Systeme (CeDiS) der FU unter anderem zuständig für die Entwicklung mobiler Anwendungen für die Lehre. Neben der Optimierung bereits bestehender Inhalte, wie etwa Selbsttests, auf portable Endgeräte, steht vor allem die Entwicklung der Uni-eigenen mobilen Web-App „Cassis“ (Campus-Assistant; https://cassis.fu-berlin.de) im Vordergrund. Der Ansatz: „Wir stellen uns die Frage, welche Mehrwerte durch mobiles Lernen geschaffen werden können.“ Doch die Frage nach einem Mehrwert stellen die Experten nicht nur sich selbst, sondern auch den potenziellen Anwendern, den Studierenden, die aufgerufen sind, sich an der Entwicklung zu beteiligen, nach dem Motto: Wir hören euch zu und reagieren auf eure Wünsche. „Wir haben mit Cassis eine Grundfunktionalität geschaffen – daran, wie es jetzt weitergeht, können sich die Studenten aktiv beteiligen“, so Göttel. Innerhalb von Cassis können Studenten Vorschläge für zusätzliche Features oder notwendige Funktionen abgeben. Über eine Voting-Funktion bewerten dann andere Nutzer diese Ideen. Beliebte Vorschläge werden geprüft und vorrangig umgesetzt. „Mit der Umsetzung der Wünsche können sich dann zum Beispiel ganz praktisch Studierende der Informatik beschäftigen.“ So bleibt einiges in der Hand der StudentInnen selbst. Cassis ist im Sommersemester 2016 als Pilotprojekt gestartet.

Neue Lernmethoden erfordern neue Lernräume: Im Zuge der mobilen Technologie werden die Studierenden zu „Lernwanderern“. Sie wechseln die Orte, je nachdem, welche Lernumgebungen sie gerade brauchen. Ein ruhiges Plätzchen oder einen Ort zum Diskurs mit Kommilitonen. Doch diese Orte zu finden, wenn praktisch jeder überall auf dem Campus sein individuelles temporäres Lernumfeld sucht, ist nicht einfach und bringt neue Herausforderungen an universitäre Räume mit sich.

An der FU Berlin können Studierende an der Assistenten-App mitwirken

In einem Projekt des Bereichs Bildungstechnologien (BBiT) der Universität Basel untersuchten Nutzer und Gestalter von Lernumgebungen, welchen Erfordernissen der „Campus von morgen“ gerecht werden sollte. Die Referentinnen Gudrun Bachmann und Sabina Brandt (beide Universität Basel) stellten im Rahmen des Themenspecials „Mobiles Lernen“ auf dem Portal e-teaching.org (Leibniz-Institut für Wissensmedien) ihre Ergebnisse vor. Dabei entfaltete Bachmann neben dem oben genannten noch weitere Spannungsfelder, die sich aus den Bedürfnissen der Studierenden ergeben und Handlungsbedarf erfordern. So drückt etwa das Begriffspaar „anytime-anywhere“ versus „home-base“ aus, dass neben dem Wunsch, am Institut jederzeit und überall lernen zu können, auch jener nach einem persönlichen Arbeitsplatz besteht. Und: Bei den Nutzungsstrukturen von Räumen herrscht in vielen Unis offenbar Unklarheit. Lernräume, ob temporär oder permanent, müssen deutlich gekennzeichnet sein.

Bachmann folgert: „Aus unserer Sicht müsste der Campus von morgen das zeit- und ortsunabhängige Lernen ermöglichen und gleichzeitig einen festen Lernort für die Studierenden bieten.“

Als ungenutztes Raumpotenzial identifizierte Referentin Sabina Brandt im Anschluss Transitbereiche wie Foyers und Flure. Diese „Zwischenräume“ sollten für mobil Lernende besser nutzbar gemacht werden. Auch hier sind neue Ideen gefragt.

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