: Plastik, Fußball und ein bisschen Politik
AUFSTIEG RB Leipzig ist erstklassig. Den Erfolg hat ein österreichischer Milliardär gekauft. Die Fans in der Stadt stören sich daran nicht. Sie wollen über Fußball sprechen, nicht über Geld. Es gibt sogar Anhänger, die ihr politisches Engagement in die Kurve des Limonadenklubs tragen wollen. Ob das klappt?
Aus Leipzig Hanna Voß
Das erste Wort im Notizblock ist Plastik. Was für ein Klischee, bei einem Artikel über RB Leipzig. Aber es ist tatsächlich schwierig, in der Red-Bull-Arena nicht an Plastik zu denken: blau-türkise Kunststoffsitze, Trainer- und Ersatzbänke, die hinter halb offenen Plastik-Nussschalen verschwinden, deren Lila stylischerweise in Pink übergeht. Mannshohe Red-Bull-Dosen, die zu beiden Enden emporragen. Vor Jahren erwog Red Bull, im Stadion keine anderen Getränke als die unternehmenseigenen mehr auszuschenken. Die Fans waren empört – und stellten die Frage: „Was trinken dann eigentlich die Kinder?“ Und Red Bull so: „Ach ja.“ Im ehemaligen Zentralstadion fühlt sich der Traditionsfan ein bisschen wie in einem übergroßen Hubbabubba. Oder, als der Stadionsprecher gewollt hemmungslos die „Roten Bullen“ zum Warmlaufen ankündigt, wie beim American Football. Wie schlecht hineinkopiert mutet die dunkelgrüne Ur-Krostitzer-Werbung an, weil in diesem Stadion, in das Red Bull seine Arena hineingebaut hat, einfach gar nichts mehr „Ur“ ist.
Red Bull Leipzig, das natürlich nicht so, sondern RasenBallsport Leipzig heißt, existiert seit 2009 und ist eines der fünf Fußball-Engagements von Red-Bull-Magnat Dietrich – Didi – Mateschitz. Spätestens seit dem Aufstieg, der seit dem vorletzten Spieltag in der Zweiten Liga feststeht, polarisiert Leipzig derzeit wie kaum ein anderer Verein in Deutschland. Denn jetzt hat RB gewissermaßen den Platz (und zuvor bereits fast die komplette Nachwuchsabteilung) von Traditionsvereinen wie dem VfB Stuttgart übernommen, so wie es Mateschitz, dessen Vermögen von Forbes auf 10,2 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, von Beginn an plante. Retorte gegen Tradition. Die Kritik daran: Red Bull zerstöre den Fußball und die Nachwuchsarbeit anderer Vereine. Sei ein Marketingklub, in dessen Vorstand ausschließlich Red-Bull-Mitarbeiter sitzen. Und so weiter.
Die RB-Fans stören sich an alldem wenig. Mit Schal und Mütze bestückt feuern sie Dominik Kaiser, Davie Selke und all die anderen an, die dem Geld – und wohl auch dem Gesamtkonzept – nach Leipzig gefolgt sind. Fragen nach dem übermächtigen Brause-Sponsor werden weggelächelt und als naive Romantik abgetan. „Wir haben überhaupt kein Problem mit Red Bull“, sagt ein älterer Herr in dicker, roter Daunenjacke und schnauft nachdrücklich. Wenige Plätze entfernt pflichtet ihm ein älterer Herr in blauer Daunenjacke bei: „Das ist Stimmungsmache gegen RB. Was ist denn mit all den anderen? Mit Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim?“ Manch einer rümpft nur die Nase – „Sie können davon ausgehen, dass hier im Stadion niemand ein Problem mit Red Bull hat“ – und wendet sich ab.
Die anderen, die sind doch auch nicht besser: Das ist das Lieblingsargument der RB-Fans. Sie finden prominente Unterstützer: Marcel Reif, der für eine Veranstaltung an die Uni Leipzig gekommen ist, sagt: „Der Fußball hat generell ein Problem. Den Kommerz hat RB nicht erfunden.“ Die Debatte müsse sich verschieben. Spätestens seit sich die Champions-League-Einnahmen versiebenfacht haben, gebe es in Deutschland und ganz Europa keine Wettbewerbsgleichheit mehr. Die 50+1-Regel etwa, die Kapitalisten wie Reif kritisieren, verhindert, dass Anleger die Stimmenmehrheit bei Kapitalgesellschaften übernehmen, in die Fußballvereine ihre Profimannschaften ausgegliedert haben. So wie es zum Beispiel in England üblich ist. Vereine wie Darmstadt oder Augsburg versprühen deutlich mehr Fußball-Romantik, können mit RasenBallsport aber nicht mithalten. Abstiegskampf ist da Alltag, wird in Leipzig aber niemals Thema sein, ist Reif überzeugt: „RB wird in den kommenden Jahren der natürliche Konkurrent von Bayern und Dortmund sein.“
Matthias Kießling bloggt seit einigen Jahren über RB Leipzig, nennt sich dafür ein wenig selbstironisch „rotebrauseblogger“. Er trifft sich gerne im Leipziger Westen, im Café des Theaters der Jungen Welt. Er hört gar nicht wieder auf, Zucker in seinen Milchkaffee zu schütten, streicht bedächtig den Schaum ab und lächelt sanft. Er schreibe nicht über Red Bull, er schreibe über Fußball; diese Unterscheidung ist ihm wichtig. Den meisten Fans gehe es wie ihm – sie seien dankbar, dass Didi Mateschitz sein Geld in einen Verein gepumpt hat, der die Stadt im Namen trägt, eine engere Verbindung zum Sponsor existiere jedoch nicht. Die „Red-Bull-Eventfans“ seien eindeutig in der Minderheit. Leipzig habe eine lange Fußballgeschichte. Die Menschen hätten Lust auf Fußball, auf Erstligafußball – live, im eigenen Stadion. „Dass da jemand gekommen ist, der Geld mitgebracht hat, lasse ich als Vorwurf nicht gelten“, sagt Kießling. Die Gründungsgeschichte sei eben, wie sie ist. Es bringe nichts, sie zu negieren. Was er dagegen gelten lasse, ist Kritik an den Strukturen innerhalb des Vereins und wenn Menschen sagen, „das fühlt sich für mich einfach nicht an“.
Tatsächlich ist RasenBallsport Leipzig, so sehr es sich die meisten Fußballfans in der Stadt wünschen, alles andere als ein gewöhnlicher Klub. Im Gegensatz zu allen anderen deutschen Fußballvereinen räumt RB Anhängern nicht die Möglichkeit ein, stimmberechtigtes Mitglied zu werden. Das Stammkapital der RBL GmbH wird zu 99 Prozent von der Red Bull GmbH und zu einem Prozent vom Verein gehalten. Um die 50+1-Regel zu wahren, muss der Verein aber die Stimmenmehrheit in der Gesellschaftsvermarktung besitzen. Da die 14 stimmberechtigen Mitglieder in enger Beziehung zu Red Bull stehen, werden sowohl der Verein als auch die RBL GmbH faktisch von der Red Bull GmbH kontrolliert. Fragen an die Mitarbeiter von Red Bull im Stadion? Da greift schon beinahe Panik um sich: „Darf ich gar nichts zu sagen. Läuft alles über die Pressestelle“, sagen die Befragten nur und nehmen dann die Beine in die Hand. Undemokratisch, intransparent und ein Verein, der paradoxerweise den eigentlichen Vereinsgedanken in Deutschland aushöhlt – das ist Kritik, die man sich als RB-Fan gefallen lassen muss – und die wesentlich fundierter ist als die am österreichischen Geld.
So sehen es zumindest die Rasenballisten. Die Interessensgemeinschaft hat sich 2009 gegründet, Ansprechpartner für die Presse sind Gustav Melem, Charlie Essner und Rex Schkeuditzer, allesamt Pseudonyme. Die Rasenballisten haben im RB-Fanumfeld längst nicht nur Freunde. Denn sie wünschen sich politische Teilhabe in und abseits der Red-Bull-Arena. Sie wollen ein größeres, ziemlich linksalternatives Sprachrohr gegenüber dem Verein sein. Eine feste Instanz, die in der vor allem anfangs oft missglückten Kommunikation vieles leichter machen soll. Mittlerweile verkaufen sie an einem eigenen Merchandising-Stand im Stadion, gründen Arbeitskreise, engagieren sich politisch und sozial. Sie sind die kritischen Fans in einem Fanumfeld, das eher pragmatisch als idealistisch denkt. „Uns ist die Stadt wichtig, und den Verein in der Stadt zu verankern“, sagt Melem. Der 20-Jährige hat das graue Hemd bis fast zum Kehlkopf zugeknöpft, vielleicht wird sein Gesicht auch deshalb immer röter. Nicht Red Bull spiele künftig in der Bundesliga, sondern Leipzig.
Vieles von der Kritik an RB können Melem, Essner und Schkeuditzer nicht ernst nehmen: Es gebe einen Zug, auf den alle aufspringen – unreflektiert und mit der immer gleichen Argumentation. Dass es dem Verein an Mitbestimmung fehle und Gästefans zum Beispiel nicht die gleichen Voraussetzungen wie die eigenen vorfänden, dagegen möchten die Rasenballisten angehen. „Wir wollen, dass insgesamt mehr zugelassen wird“, sagt Essner und dreht das Refugees-welcome-Armband an seinem Handgelenk. Geplante Spruchbänder gegen die Mitgliederstrukturen wurden ihnen untersagt. „Wir sind nicht dogmatisch. Wenn Dinge passieren, die wir nicht gut finden, kann es durchaus sein, dass wir den Verein nicht länger unterstützen“, sagt Essner.
Doch genau dem möchten sie vorbeugen, indem sie selbst aktiv mitgestalten. „Das ist doch wichtiger als nostalgisches Rumgeeier“, sagt Melem. Dazu gehört vor allem, rechten Gruppen im Stadion keinen Raum zu geben. „Ein Stadion ist immer auch ein Querschnitt der Gesellschaft. Besonders in Sachsen muss daher präventiv gearbeitet werden.“ Jene, die behaupteten, es gäbe kein „rechtes Zeug“ im Stadion, würden eben diese Räume freimachen. Die Entpolitisierung von Ultragruppen und Stadionkurven sei gefährlich: „Wenn mein kleiner Bruder in zehn Jahren mit mir ins Stadion geht, möchte ich nicht, dass er mich fragt, was die Nazis da zu suchen haben“, sagt Essner. Wer einen Verein mitgestalte, habe nicht nur Möglichkeiten, sondern eben auch Verantwortung.
Das Schöne, ja tatsächlich das Schöne an RB ist, wie wenig feststeht. Alles befindet sich im Aufbau; viele Fans, oft ganz unterschiedliche Menschen, möchten ihren eigenen Beitrag leisten. „Diese Chance bekommt man nur einmal im Leben“, sagt Thomas Herfurth. Er ist Vertreter vom „Fanverband“, der viele RB-Fanclubs als Dachorganisation vertritt. RB hätte wohl längst nicht in jeder Stadt funktioniert. Leipziger Fans seien eben von Natur aus erfolgsliebend. Viele andere Ostklubs krebsen seit Jahren ganz unten herum – auch die Stadtklubs Lok Leipzig und BSG Chemie. „Die haben viel falsch gemacht und projizieren eigenes Unvermögen auf RB“, sagt Herfurth.
Der Aufstieg schaffe Tausende Arbeitsplätze, sei ein Gewinn für die gesamte Region. Und natürlich wolle man keinesfalls Steuergelder für einen Verein genutzt wissen. Red Bull zahlt einfach alles – so was mag der Sachse. Und nimmt dafür gerne jede Menge Plastik in Kauf.
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