Designierter Kanzler in Österreich: Sozialdemokratischer Manager

Früher leitete er die Bundesbahnen, bald führt er das Land. SPÖ-Mann Christian Kern soll neuer Kanzler werden, das Kabinett wird umgebaut.

Ein Mann zeigt mit seinem Finger nach vorne. Es ist Christian Kern

Große Zukunftslorbeeren: der designierte Kanzler Christian Kern Foto: reuters

WIEN taz | „Wir treiben auf einem Ozean und jemand hat uns den Sextanten geraubt“, so beschrieb Christian Kern den Zustand der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), als er dort 2010 das Ruder übernahm. Die ÖBB gelten heute als saniert. Ähnlich Drastisches könnte man heute über die SPÖ sagen, deren Vorsitz der 50Jährige nächste Woche offiziell übernehmen wird. An Vorschusslorbeeren mangelt es jedenfalls nicht.

Zunächst war es ein informelles Gremium, das den neuen SPÖ-Chef Freitag am frühen Nachmittag auf den Schild hob. Bürgermeister Michael Häupl, übergangsweise mit der Parteiführung beauftragt, hatte die Landesparteichefs sowie die Vorsitzenden des Gewerkschaftsbundes und der Sozialistischen Frauen ins Wiener Rathaus geladen.

Große Personaldebatten gab es nicht. Denn der Medienmanager Gerhard Zeiler, der einzige andere Kandidat, der angefragt wurde, hatte schon am Vortag abgewinkt. Er stehe für eine Kampfabstimmung gegen Kern nicht zur Verfügung.

In einem Fernsehinterview hatte er enthüllt, dass er gemeinsam mit Kern die Ablöse des am Montag überraschend abgetretenen Werner Faymann bereits seit einem Jahr vorbereitet hatte. Kern selbst trat bei der Sitzung nicht in Erscheinung und wird sich auch erst am Dienstag der Presse stellen.

Willkommenskultur ins Kabinett

Kern ist nur scheinbar ein Quereinsteiger. Denn der studierte Publizist hatte seine Karriere als Pressesprecher des damaligen SPÖ-Staatssekretärs Peter Kostelka begonnen. 1997 wechselte er zum Verbund der Energieversorger. Der ÖBB hat er zwar keine schwarzen Zahlen verschafft, aber höhere Einnahmen und ein besseres Image.

Ins Rampenlicht der Öffentlichkeit trat Kern vergangenen September, als er am Höhepunkt der Flüchtlingswelle den unentgeltlichen Transport Asylsuchender quer durch Österreich ermöglichte und Sonderzüge einschieben ließ, um den Andrang zu bewältigen.

Ob er die koalitionsinterne Debatte über den Umgang mit Flüchtlingen neu eröffnet, ist noch offen. Die ÖVP hat das Beibehalten der restriktiven Linie mit Grenzzäunen und Obergrenzen zur Bedingung für eine Weiterarbeit in der Koalition gemacht.

Trotzdem will Kern, so wird aus parteinahen Quellen kolportiert, die bisherige Wiener Stadträtin Sonja Wehsely in die Regierung holen, entweder ins Gesundheitsministerium oder ins Kanzleramt. Sie ist eine vehemente Verfechterin der Willkommenskultur.

„Sehr gut qualifizierter Manager“

Aus dem gegenwärtigen SPÖ-Kabinett gelten nur Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil und Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser als gesetzt. Oberhauser könnte das Sozialministerium übernehmen. Kern dürfte jedenfalls die Forderung der SPÖ-Frauen nach einem mindestens 40prozentigen Frauenanteil berücksichtigen.

Koalitionspartner ÖVP wird den zukünftigen Bundeskanzler nicht zu verhindern versuchen. Vor ein paar Tagen noch hatte es geheißen, man werde sich den neuen Mann „sehr genau anschauen“. Und Fraktionschef Reinhold Lopatka, ein notorischer Scharfmacher, hat Kern vor einigen Tagen wider besseres Wissen als „sehr teuren Bahnmanager“ diffamiert.

Für Vizekanzler Reinhold Mitterlehner ist Kern ein „sehr gut qualifizierter Manager“. Er erwartet sich von ihm einen positiven Einfluss auf die Bundesregierung und die Politik, „weil dort auch eine bestimmte Managementerfahrung von Vorteil ist“. Mitterlehner wünscht sich neue Deregulierungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs.

Nach Pfingsten tritt dann zunächst am Dienstag der offizielle SPÖ-Parteivorstand zusammen, um Kern zu wählen. Am Mittwoch wird das neue Kabinett im Parlament vorgestellt und nachmittag vom Bundespräsidenten vereidigt.

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