piwik no script img

UNHCR beklagt 700 Tote

Mittelmeer Bei der Überfahrt von Libyen nach Italien sollen in der vergangenen Woche Hunderte Menschen umgekommen sein. Rom fordert eine europäische Lösung

Fünf tote Flüchtlinge, die die italienische Küstenwache am 26. Mai geborgen hat Foto: Francesco Malavolta/ap

Aus Rom Michael Braun

Das Massensterben im Mittelmeer geht weiter. Eine erneute Tragödie hat am Donnerstag nach Aussagen Überlebender womöglich mehr als 500 Menschenleben gefordert. Insgesamt liegt allein in den letzten Tagen die Zahl der Opfer nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks bei 700.

Nach ihrer Ankunft im sizilianischen Pozzallo berichteten die Bootsflüchtlinge vom Untergang eines Schiffs unweit der libyschen Küste. Nach den Zeugenberichten war vom libyschen Sabrata aus ein Konvoi, bestehend aus zwei Fischkuttern und einem Schlauchboot, in See gestochen. Der eine Kutter habe den zweiten im Schlepp gehabt, allein auf dem zweiten Boot befanden sich nach Schätzung des UNHCR 670 Menschen. Schon wenige Kilometer nach der Abfahrt sei der zweite Kutter leckgeschlagen und mit Wasser vollgelaufen. Daraufhin hätten die Schleuser auf dem ersten Boot das Tau gekappt.

Schon diese Aktion kostete eine Frau auf dem vorausfahrenden Schiff das Leben. Das zurückschnellende Tau trennte ihren Kopf fast ab. Das zweite Boot kenterte binnen wenigen Minuten, das UNHCR befürchtet, dass 550 Bootsflüchtlinge ertranken. Aufgrund von Zeugenaussagen identifizierten die italienischen Behörden am Samstag einen Sudanesen als Schleuser und nahmen ihn in Haft.

Schon am Mittwoch waren bei einem Schiffsuntergang zahlreiche Opfer zu beklagen. Nach dem Kentern eines von Libyen aus abgefahrener Boots waren fünf Leichen geborgen worden. Die Geretteten berichteten jedoch, dass Hundert Menschen unter Deck eingeschlossen gewesen seien. Eine weitere Tragödie ereignete sich am Freitag. Nach der Havarie eines Flüchtlingsboots rettete ein italienisches Marineschiff zwar 135 Menschen, doch 45 Personen konnten nur noch tot geborgen werden, während Dutzende weitere Menschen vermisst werden.

Tragödien ohne Ende

Das Mittelmeer ist schon für viele Flüchtlinge zur tödlichen Falle geworden. Im vergangenen Jahr starben nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 3.700 Menschen auf der Überfahrt.

August 2015: Vor der Küste Libyens sollen beim Untergang zweier Flüchtlingsboote mindestens 200 Menschen umgekommen sein. In den Tagen zuvor erstickten rund 100 Flüchtlinge in Laderäumen von Schiffen.

April 2015: Vor der libyschen Küste kentert ein Flüchtlingsboot mit vermutlich mehr als 700 Menschen an Bord. Nur 28 Menschen werden gerettet.

Februar 2015: Vor der italienischen Insel Lampedusa kommen möglicherweise mehr als 330 Flüchtlinge ums Leben. (dpa)

Allein in der letzten Woche machten sich von Libyen aus Dutzende, oft nicht hochseetaugliche Schlauchboote von Libyen aus auf den Weg nach Italien. Bis zum Sonntag retteten Boote der italienischen Küstenwache, Marineeinheiten Ita­liens und anderer Staaten sowie Schiffe von Hilfsorganisationen etwa 14.000 Menschen aus Seenot und brachten sie in die Häfen Siziliens und Süditaliens.

So hoch diese Zahlen auf den ersten Blick sind, liegen sie doch bisher nicht über dem Niveau der beiden Vorjahre, als bis Ende Mai auch jeweils gut 40.000 Personen auf dem Seeweg nach Italien flüchteten. Dennoch kursieren in Italien Schätzungen, dass dieses Jahr etwa 200.000 Menschen von Libyen aus die Überfahrt antreten könnten, während 2015 gut 150.000 kamen. Das Gros der Flüchtlinge stammt aus Westafrika.

Die Internationale Organisation für Migration nennt für 2016 als erste fünf Herkunftsnationen Nigeria, Gambia, Senegal, Guinea und die Elfenbeinküste. Vor diesem Hintergrund mahnt Italien erneut eine europäische Lösung an. Nach den Umverteilungsmechanismen sollte Italien knapp 40.000 Flüchtlinge abgeben. Bisher jedoch wurden nur 591 in Italien registrierte Flüchtlinge von anderen europäischen Staaten übernommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen