LeserInnenbriefe
:

taz.die tageszeitung | Rudi-Dutschke-Str. 23 | 10969 Berlin

briefe@taz.de | www.taz.de/zeitung

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von Leserbriefen vor.

Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Risiken und Nebenwirkungen

betr.: „Mit Pillen gegen den belgischen GAU“, taz vom 26. 5. 16

Zitat: „Hochdosierte Kaliumjodidtabletten gibt es rezeptfrei in der Apotheke.“ Hierzu eine Anmerkung:

Anfang April wollte ich aus gegebenem Anlass unseren Fami­lienvorrat an Kalium jodatum (der Fa. Merck ), der bereits 2002 abgelaufen war, endlich durch neue Tabletten ersetzen. In der Apotheke fand man Kj nicht einmal im System. Erste Recherche im Netz führte mich zu Sanofi, die mir auf Mailanfrage höflich mitteilte, dass die Firma keine solchen Tabletten mehr herstelle und ich mich ans Gesundheitsamt wenden solle. Im Gesundheitsamt wurde meine Nachfrage, wo ich denn die Tabletten beziehen könne, mit drei telefonischen Weiterleitungen zwar freundlich, aber mit absolutem Nichtwissen beantwortet. Ein Anruf beim Katastrophenschutz bei der Kieler Landesregierung führte zu kompetenten Aussagen und dem Hinweis auf eine Internetadresse. Ich fand den derzeit einzigen Hersteller, eine Firma in Österreich (Lannacher). Ich informierte die kleine örtliche Apotheke, mit der Bitte, einige Exemplare für mich zu besorgen. Diese bat mich, doch lieber im Internet zu bestellen, da sie bei einer geforderten Abnahmemenge von zehn Packungen fürchtete, auf den restlichen Schachteln sitzen zu bleiben. Bei einer Internetapotheke war die Bestellung problemlos. Jetzt sind wir bis 2020 wieder versorgt. ILKA RÖHL, Lübeck

Gefährliches Einknicken

betr.: „Alles andere als historisch“, taz vom 27. 5. 16

Der vom Bundeskabinett verabschiedete Entwurf eines Integrationsgesetzes ist, genau genommen, eine weitere Verschärfung der Asylgesetzgebung. Damit sollen doch in Wirklichkeit Asylbewerber nur noch weiter abgeschreckt und von uns ferngehalten, die Zahl der Bleiberechte und Niederlassungserlaubnisse auf einem möglichst niedrigen Stand gehalten werden. Das ist für mich ein weiteres gefährliches Einknicken vor der AfD. Sie wird es garantiert zu nutzen wissen.

Dass der Gesetzentwurf jetzt von der Bundeskanzlerin und ihrem Vize in selbstbeweihräuchernder Art gar als „Meilenstein“ beziehungsweise „Paradigmenwechsel“ bezeichnet wird, grenzt deshalb für mich an „bewusste Volksverdummung“.

GÜNTER KÖHLER, Schwabmünchen

Nachfahren der Pfeffersäcke

betr.: „Nothilfe: Theorie und Praxis“, taz vom 25. 5. 16

Es ist erstaunlich, wie wenig Geschichtsbewusstsein aus dem Verhalten breiter Bevölkerungsschichten der sogenannten westlichen Welt ersichtlich wird. Fangen wir einmal bei Großbritannien an: Der Commonwealth ist das gefeierte Relikt eines britischen Weltreichs. Britische Menschen haben die halbe Welt erobert und ausgebeutet. Sie waren nicht eingeladen. Und heute regt sich nicht nur der britische Mob auf, wenn er sich in seinem „Stammland“ von angeblichen Wirtschaftsflüchtlingen überschwemmt fühlt. Ähnliches gilt für Frankreich und seine afrikanische Vergangenheit. Hinzu kommt, dass die westlichen Industrienationen auch „postkolonial“ dieselben Drittländer ­ausbeuten. Wer realisiert noch, dass die (inzwischen etwas heruntergekommenen) belgischen Prunkvillen auf den Knochen der Kongolesen konstruiert wurden.

„Kolonialwaren“ gibt es in dem eigentlichen Sinne bei uns nur noch auf nostalgisch aufgefrischten Geschäftsfassaden. Im umgekehrten Sinne gibt es sie aber sehr wohl: Es sind die Waffen, die wir in die ehemaligen Kolonien liefern, an denen sich die Nachfahren der Pfeffersäcke bereichern. Das ist der Input. Was zurückkommt, sind die Flüchtlinge. Aber dafür können wir doch nichts. Oder? HEINZ MUNDSCHAU, Aachen

Unterdrückte Wirtschaftsthemen

betr.: „Sinnsuche im Umfragetief“, taz vom 26. 5. 16

Nicht nur die Kanzlerin lässt jede Kenntnis ökonomischer Zusammenhänge vermissen, auch in der Wahlanalyse zu den letzten Wahlen habe ich, insbesondere bei Politikerinnen, den Eindruck mangelnder Wirtschaftskenntnisse.

Was in Sachsen das kommende Rentendesaster wird und für Robert Habeck die Milchschwemme ist, erlebt NRW gerade in der erneuten Zuspitzung der Stahlkrise. Dabei ist das Bundesland schon so abgewirtschaftet, insbesondere im Revier, wo die Städte regelmäßig vor dem Konkurs stehen. Nur das Beispiel Opel: Heute produziert der Autokonzern in Eisenach mit erheblich kleinerer Belegschaft mindestens doppelt so viele Fahrzeuge wie einst in Bochum. Und konnte die neuen Automaten sogar noch mit Staatshilfen finanzieren. Proletarier kann nur werden, wer noch im Produktionsprozess steht. Die Herausbildung eines Klassenbewusstsein wurde auch durch jahrzehntelange SPD-Herrschaft verhindert. Funktionäre besetzten Rathäuser und Aufsichtsräte und ließen sich gut alimentieren. Mir ist nicht bekannt, dass Grüne sich besonders um die Kollateral-Geschädigten kümmern. Inzwischen ist ein sehr großer Teil der Fallengelassenen auch nicht mehr für herkömmliche Politik erreichbar, da braucht es wenig Anstrengung für rechte Sprüchemacher, um die Unzufriedenen einzufangen. Politische Ökonomie sollte Pflichtfach werden.

Wenn ich höre, dass die NRW-Grünen die innere Sicherheit zum Thema machen wollen, muss ich mit Abscheu an die Polizeieinsätze des letzten Sommers in Garzweiler denken – auch ein unterdrücktes Wirtschaftsthema! DIETMAR RAUTER, Kronshagen