: Popen gegen Panik in Omutninsk
AUS MOSKAU K.-HELGE DONATH
Wenige Tage vor dem vermeintlichen Weltenende macht sich in Russland Nervosität breit. Für Freitag, den 21. Dezember, sagte der 5.125 Jahre umfassende Kalenderzyklus der alten Mayakultur das Ende des alten und den Beginn eines neuen Zeitalters voraus. Viele russische Bürger nehmen die Prophezeiung für bare Münze – auch wenn ihr Präsident nichts davon wissen will (siehe S. 1 und 9).
Seit Wochen decken sich vor allem Menschen in der Provinz mit Notrationen für die Zeit nach dem Tag X ein. In der Stadt Omutninsk, 1.000 Kilometer nordöstlich von Moskau, kam es zu Hamsterkäufen. Salz, Buchweizen, Streichhölzer, Kerzen, Kerosin und Konserven verschwanden aus den Geschäften der Stadt mit 25.000 Einwohnern. Auch in den Nachbargemeinden der Region leerten sich die Regale. Aufrufe des Bürgermeisters halfen nichts. Überstürzt boten Rentner ihre Habseligkeiten für Dumpingpreise an, um sich mit einer zusätzlichen Ration zu versorgen.
Auslöser war ein Artikel über die Mayaprophetie in der Lokalzeitung in der Rubrik „Erholung“. Zumindest in der Provinz seien die Leser noch nicht misstrauisch, sie glaubten alles, was in der Zeitung stehe, sagte ein Geschäftsmann. Traurige Szenen sollen sich abgespielt haben, als Schulkinder ihre Mütter anflehten, sie doch nicht sterben zu lassen. Auch in der Republik Tuwa an der mongolischen Grenze und im sibirischen Kohlegebiet Kemerowo und in Tschetschenien löste die Nachricht Panik aus. Selbst in einigen Gefangenenkolonien soll die Nachricht Massenpsychosen ausgelöst haben. Erst Popen hätten die aufgebrachten Seelen durch Hinweise auf die biblische Apokalypse beruhigen können.
Der Gouverneur von Tuwa wies die Beamtenschaft an, die Verunsicherung der Bürger nicht auf die leichte Schulter zu nehmen: „Wenn in unserer Gesellschaft so eine Aufregung herrscht, gibt es dafür einen tieferen psychologischen Grund.“ Auch das russische Katastrophenschutzministerium erklärte den Untergang für Unfug. Wer dennoch nicht zur Ruhe kommt, für den richtete das Ministerium eine Hotline ein. Abgeordnete des Parlaments forderten die TV-Sender auf, nicht noch mehr Hysterie zu verbreiten.
Wodka, Seife, Sprotten
Russlands oberster Amtsarzt drohte unterdessen, uneinsichtige Provokateure juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Russland war schon immer anfällig für Aberglauben und Obskurantismus. Das Bildungsniveau ist gesunken, und selbst Gläubige verfügen oft nur über geringe religiöse Kenntnisse. Die jahrelange Bevormundung ließ die Leute unselbständig werden. Vielen fiele es daher schwer, die komplexe Wirklichkeit zu durchschauen, meinen Psychologen.
Der Hang zur Archaik werde zurzeit sogar von der Staatsanwaltschaft noch gefördert, die im Blasphemieprozess gegen die Frauen-Punkband Pussy Riot auf klerikale Schriften aus dem 4. Jahrhundert zurückgriff, kommentierte die Zeitung Vedemosti. Die meisten Menschen würden wie früher mit Hamsterkäufen auf Hiobsbotschaften reagieren und abwarten, dass das Unglück an ihnen vorbeizöge. Wer sich noch nicht mit Vorräten eingedeckt hat, kann im Internet für 20 Euro das Überlebenspaket namens „Schlimmer kann es nicht kommen“ beziehen. Unter anderem mit Wodka, Seife und Sprotten. Ein anderer Anbieter hat auch noch Gasmasken und Mittel zur Stabilisierung der Körpertemperatur im Sortiment.