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Gegenstände des kulturellen Lebens

Museumspädagogik Der diesjährige Internationale Museumstag und die begleitende Aktionswoche zeigten, welche Bereicherung der interkulturelle Dialog für ein Stadtmuseum wie das Märkische Museum sein kann

Die BesucherInnen in den Spiegeln des alten Friseursalons im Märkischen Museum Foto: Steffi Loos

von Annika Glunz

Kaiserpanorama, Frisiersalon und Samowar: Diese drei Objekte haben das kulturelle Leben vieler Menschen auf ganz unterschiedliche Art und Weise geprägt. Aktuell stehen sie im Märkischen Museum und glänzen durch ihr Dasein. Dass sie aber darüber hinaus noch viel mehr können, das zeigte sich am Wochenende in einer etwas anderen Museumsführung: Im Rahmen der Initiative „Kultur öffnet Welten“ des diesjährigen Internationalen Museumstags und der begleitenden Aktionswoche führten drei Guides ganz unterschiedlicher Herkunft die BesucherInnen durch das Museum, wobei sie sich auf bestimmte, für sie bedeutsame Objekte konzentrierten.

Während Helge Schmidt, freiberuflicher Museumspädagoge, Hintergrundinfos zu den ausgestellten Objekten mitteilte, berichteten die anderen beiden Guides über deren Bedeutung in ihren jeweiligen Herkunftsländern, dem Iran und Afghanistan. Da die (internationalen) BesucherInnen oft ebenfalls auf Erfahrungen mit den ausgestellten Gegenständen zurückblicken konnten, kamen alle Teilnehmenden miteinander ins Gespräch – von frontalen Monologen keine Spur.

So erfuhr man beispielsweise, dass im Iran aufgrund der vielen Erdbeben in manchen Regionen ungefähr alle 20 bis 30 Jahre neue Häuser gebaut werden müssen und dass aber trotzdem noch vergleichsweise viele geschichtsträchtige Bauten erhalten geblieben sind, während in Afghanistan nahezu alle Kulturgüter der Zerstörung durch diverse Kriege zum Opfer fielen.

Auch die guten alten Schulbänke aus Holz gab es im Iran – „perfekt zum Abschreiben“ erinnert sich die Iranerin Tara Mohammadi, während Ali Panahi, der dritte Guide, berichtet, dass es in Afghanistan – bis auf den Koranunterricht, bei dem alle auf dem Boden saßen – gar keine Schulen gab und er Lesen und Schreiben über Bekannte und Verwandte gelernt hat. Zwei aus China stammende Teilnehmer erzählen, dass dort Schulklassen mit 100 SchülerInnen Normalität sind.

Interessant war an dieser Stelle auch das Thema der Trennung zwischen Mädchen und Jungen in den Schulen: Während in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet wurden, vollzog sich im Iran eher eine rückläufige Entwicklung: „Vor der Mullah-Revolution gab es in den Schulen keinen getrennten Unterricht. Frauen und Männer gingen auch gemeinsam in die Moschee, und Frauen mussten keine Kopftücher tragen“, so Mohammadi.

Sie leitet die Tour weiter zu ihren Lieblingsstücken – zwei auf Hochglanz polierten Samowaren. Die Teekocher sind fester Bestandteil der iranischen Teekultur – die allerdings dort noch vergleichsweise jung ist: „Seit 1550 wurde im Iran immer Kaffee getrunken, die Teekultur entwickelte sich erst langsam ab dem 19. Jahrhundert“, erzählt Mohammadi, „die alten Kaffeehäuser heißen zwar immer noch genauso, aber dort kriegt man jetzt keinen Kaffee mehr. Wenn du einen Kaffee trinken willst, musst du zum Coffeeshop gehen.“ In Afghanistan sei Tee ein Luxusgut, Kaffee würde gar nicht getrunken, berichtet Panahi.

Alle kamen miteinander ins Gespräch – von frontalen Monologen keine Spur

Allgemeine Aufmerksamkeit erregte das kreisrunde, ringsum mit Gucklöchern ausgestattete Holzgebilde, das am laufenden Band rasselte und klingelte: Ein Kaiserpanorama, um die Wende zum 20. Jahrhundert ein populäres Massenmedium in Mitteleuropa, das es 25 Menschen gleichzeitig erlaubte, sich aus einer gemeinsamen Perspektive heraus „exotische“ Bilder aus anderen Teilen der Welt anzusehen. Der „Blick ins Kolonialisierte“, wie es Schmidt nannte.

Ganz im Gegensatz dazu ermöglichten die unterschiedlichen Blickwinkel und Standpunkte, von denen aus sowohl die drei Guides als auch die BesucherInnen die ausgestellten Objekte betrachteten, nicht nur einen differenzierten Blick auf die Objekte selbst, sondern auch auf die dahinterstehende Geschichte und wie sie sich auf das Leben der Menschen auswirkt. So wurden hier über Fragen der Alltagskultur hinaus auch Fragen nach (Neo-)Kolonialismus und Globalisierung berührt.

Obwohl viele der in der Führung angeschnittene Aspekte ernst waren, war die Stimmung unter den Teilnehmenden optimistisch. Das bestätigte sich auch in der Wahrnehmung der Teilnehmenden: „Ich bin begeistert von dieser Art und Weise des Austausches. Alles, was wir hier gesehen und besprochen haben, war sehr menschen- und lebensnah. Ich würde mich freuen, wenn so etwas häufiger passiert“, berichtet Erika von Wehren.

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