Merkel muss sich neu erfinden
: KOMMENTAR VON LUKAS WALLRAFF

Willkommen in der Opposition! Mit der Nominierung von Horst Seehofer als Minister hat sich Edmund Stoiber entschieden, die künftige Kanzlerin nach Leibeskräften zu bekämpfen. Einen stärkeren Gegner von Angela Merkels Politik hätte der CSU-Chef nicht ins Kabinett mitbringen können. Im Vergleich zu dem begnadeten Populisten Seehofer sind Lafontaine und Gysi Leichtmatrosen. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Merkel ist in ihrer eigenen Regierung in der Minderheit – gegen CSU, SPD und einen gut Teil ihrer eigenen Partei. Auch der Sozialflügel der Union wacht wieder auf. Eine hoffnungslose Ausgangslage ist das – mitnichten.

Wer Merkel jetzt abschreibt, wer sie als „Königin ohne Macht“ bezeichnet, sollte sich erinnern, wie sie vor fünf Jahren als CDU-Chefin begann. Auch damals wurde Merkel als „Herrscherin ohne Land“ bespöttelt. Auch damals hatte sie als Ausgangsbasis nur: ihr Amt. Doch was hat sie daraus gemacht?

Merkel versteht es wie kaum eine andere politische Figur, Demütigungen auszuhalten, allein gegen alle zu kämpfen und Rivalen gegeneinander auszuspielen. Immer wenn es darauf ankam, schreckten die Stoibers, Wulffs und Kochs davor zurück, sie vom Thron zu stürzen – sogar nach ihrem miserablen Wahlergebnis im September. An der Zögerlichkeit der Unionsmänner dürfte sich nichts ändern. Im Gegenteil: Merkels Autorität wächst – trotz allem. Bis die Union – aber auch die SPD – eine selbst gewählte Regierungschefin absägt, muss viel passieren. Auch für Merkel gilt: Macht macht Macht. Die Frage ist nur, was sie daraus macht.

Programmatisch muss Merkel bei null anfangen. Alles, was sie sich in den letzten Jahren, seit dem Leipziger CDU-Parteitag, aufgebaut hat, nützt ihr nichts mehr. Als radikale Reformerin ist sie gescheitert. Sie muss langsamer, vorsichtiger, aber zielstrebig vorgehen. Um lange im Kanzleramt bleiben zu können, muss sich Merkel neu erfinden. Sie muss zur Moderatorin werden – bei der Föderalismusreform und beim Sparen durch Subventionsabbau bieten sich erste Chancen. Der nötige Imagewechsel wird schwierig, keine Frage. Aber: „Wer Merkel unterschätzt, hat schon verloren.“ Der Satz stammt – von Horst Seehofer. LUKAS WALLRAFF