: Wo Queen sich bedient haben sollen
Kult Nach dem Biafra-Krieg blühte Nigerias Rockszene auf. Ein Buch und zwei Sampler erkunden diese Ära
Fragt man Musikliebhaber nach den großen Namen der nigerianischen Musik, so fallen den meisten wohl die Granden des Afrobeat ein: Weltstars wie der verstorbene Sänger und Multiinstrumentalist Fela Kuti und Drummer Tony Allen, der heute noch durch die Lande tourt. Vom Afro-Rock und dessen großer Ära in Nigeria dürften dagegen weitaus weniger Leute schon mal gehört haben.
Wie gut, dass nun zwei Alben erscheinen, die dieses eher unbekannte Kapitel aufarbeiten. Mit dem zweiteiligen Sampler „Wake Up You! The Rise and Fall of Nigerian Rock, 1972–1977“ und einem dazugehörigen Buch erhält man Nachhilfeunterricht in Sachen nigerianischer Rockgeschichte in der Epoche nach dem grausamen Krieg um Biafra (1967–1970). Zum anderen kann man fantastische Blues-, Soul- und Funkbands entdecken, die den großen Namen dieses Genres wie James Brown oder Sly & The Familiy Stone in nichts nachstehen.
Zwar gibt es schon einige nigeriaspezifische Afro-Rock-Sampler – aber keinen, der die Musik dieser Zeit in dieser Bandbreite abdeckt und so viel Zusatzinformationen liefert. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den nach dem Biafrakrieg wieder pulsierenden Szenen in Lagos und in Enugu, das nach der Unabhängigkeitserklärung 1967 die Hauptstadt Biafras war und nach dem Krieg Anfang der 1970er Jahre der nigerianischen Militärregierung unterstellt wurde. Beide Orte bildeten wichtige Zentren des Afro-Rock.
Bands wie die Hykkers, die zuvor emigriert waren, kehrten nach Lagos zurück, sie galten als Nigerias erste professionelle Popband. Nun formierten sie sich neu und sind auf dem Sampler mit den Stücken „I Want A Break Thru“ (1971) und „Stone The Flower“ (1972) vertreten – Ersteres ist eine fuzzig-funkige Instrumentalkomposition, Letzteres klingt wie Nigerias famose Antwort auf die Jackson Five.
Es gab in dieser Epoche aber auch weitaus exzentrischere Spielarten des Rock als bei den Hykkers. Wenn man etwa die damals ebenfalls in Lagos ansässigen Wrinkars Experience hört, so klingt das nach spiritualistisch anmutendem Rock mit Highlife- und Reggae-Anteilen, der alles andere als massenkompatibel erscheint. Mit OFO The Black Company ist eine Kultband vertreten, die im Buch als eines der seltsamsten musikalischen Phänomene der Zeit beschrieben wird. Um deren Sänger Larry Ifedioranma soll sich eine Art Kommune geschart haben, die sich mit mystischen und religiösen Themen auseinandersetzte. Die Musik dieser Band klingt abgespact.
Zwei Dinge sind interessant an OFO The Black Company: Für den später in Nigeria als Schoolboy Rock – Bands von Studenten – firmierenden Sound bildeten sie die Vorhut. Zum anderen behauptete Graham Gaffney, englischer Gitarrist in der Spätphase von OFO The Black Company, der Song „We Will Rock You“ sei in ihrem Repertoire gewesen und die ein wenig berühmtere Rockgruppe Queen habe ihn sich angeeignet, ergo geklaut.
Im Vergleich zu Lagos war die Rockszene im Biafra-Gebiet stärker mit dem Militär verknüpft. Die Bands bekamen Instrumente von den Militärs oder spielten für sie, und es gab Militärangehörige, die in den Bands spielten. Wichtige Bands aus Enugu sind etwa mit den Hygrades und The Funkees vertreten: beide extrem rhythmisch und funky.
Ein Blick in die Szene der ebenfalls südöstlichen Stadt Aba (The Apostles mit ordentlich Psychedelic-Funk) rundet den Sampler ab. Die Autoren und Herausgeber Uchenna Ikonne und Eothen Alapatt vertreten die These, Nigerias Musik habe nach dem Biafra-Krieg ihre Unschuld nach dem Krieg verloren.
Im Sound der genannten Bands klingt wohl beides durch: bei Band wie OFO the Black Company die Auseinandersetzung mit sich und der eigenen Geschichte, bei Gruppen wie den Hykkers die Verdrängung und eine große Sehnsucht nach Leichtigkeit in der Folge der Katastrophe. Jens Uthoff
Various Artists: Wake Up You! The Rise and Fall of Nigerian Rock, 1972–1977 Vol. 1 und 2, jeweils LP und Buch (Now Again Records)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen