piwik no script img

Mariniert und geköchelt

Nouveau Folk Die Sängerin Alejandra Ribera schöpft aus einer äußerst kosmopolitischen Vita. Ihr Album „La Boca“ zählt zu den großen Songwriter-Würfen der letzten Jahre. In diesem Sommer wird sie auf mehreren Festivals spielen

Häuslicher Ruhepol mit Katze. Doch im Inneren lodert die Leidenschaft: Alejandra Ribera Foto: K. Wagenbauer

von Stefan Franzen

Kanada blickt auf eine lange Tradition herausragender Songwriter zurück, die Namen wie Joni Mitchell oder Leonard Cohen umfasst. Alejandra Ribera kann also auf prominente Vorbilder verweisen, tanzt aber kräftig aus der Reihe. Sie schöpft aus den Kulturen dreier Kontinente: die Mutter Schottin, der Vater Argentinier, ist sie in Toronto aufgewachsen und in Montreal zur Künstlerin gereift. Jetzt lebt sie in ihrer Wahlheimat Paris.

Ihr aktuelles Werk, „La Boca“, zählt zu den großen Songwriter-Würfen der letzten Jahre. In ihren bildgewaltigen Erzählungen macht sich die Lust am Fabulieren bemerkbar, und neben spanischen Einflüssen scheinen in ihren Balladen auch klassische Töne durch. In einem anglikanischen Chor fand sie bereits als Kind Zugang dazu.

„Ich habe schon früh faszinierende Stimmen imitiert, die Folksängerin Odetta zum Beispiel hat mich umgehauen“, sagt Alejandra Ribera. Mit ihrem zweiten Album, „La Boca“, hat sie nun ihren eigenen Stil gefunden. Und was für einen: In ihrer charakterstarken Altstimme, in der Tiefe oft abgründig und brüchig, schwingen Gefühlslagen so ungefiltert, dass sie den Hörer nachhaltig fesseln.

Für die Aufnahmen stand Ribera mit Jean Massicotte einer der großen Produzenten Kanadas zur Seite, verantwortlich unter anderem für Alben der 2010 an Krebs verstorbenen US-Mexikanerin Lhasa de Sela. „Ihr zweites Album, ‚The Living Road‘, hat mir sehr gefallen“, sagt Ribera. „Als ich nach Montreal zog, traf ich dort viele Menschen aus ihrer Umgebung und arbeitete zufällig mit einigen ihrer Musiker zusammen.“

Die meisten Songs auf „La Boca“ sind auf Reisen durch Europa entstanden. Ribera singt auf Englisch, Spanisch und Französisch, und es scheint, als schlüpfe sie je nach Sprache in eine andere Haut. „Ich will das eigentlich gar nicht“, gibt sie zu. „Aber wenn ich auf Spanisch singe, dann verwende ich meine tiefsten Stimmenregister, auf Französisch dagegen klinge ich eher mädchenhaft. Ich finde es faszinierend, wie das meine verschiedenen Persönlichkeiten zum Vorschein bringt.“

Über ein Jahr zogen sich die Aufnahmen hin, und jeder Song hat eine eigene Geschichte. In „Goodnight, Persephone“ erzählt sie mit irischem Dudelsack vom Winterschlaf in der Unterwelt. „No Me Sigas“ berichtet über die unumgängliche Flucht aus einer Liebe. „I Want“, der unbestreitbare Hit des Albums, ist ein hymnischer Mutmacher: Mit diesem Lied erholte sich die Autorin von einer Trennung und holte sich den Willen zur Zukunft zurück. Einen fast schon verruchten Ton à la Tom Waits schlägt „Bad Again“ an: „Ich stellte mir hier eine gealterte, müde, verbitterte Dragqueen vor, die rauchend vor dem Schminkspiegel sitzt“, erläutert Ribeira. „Es ist ein Song über den Zustand, in dem du bist, wenn du eine Woche lang zu viel getrunken und dich an die falschen Leute drangehängt hast, obwohl du wusstest: Das geht nicht gut! Ein Gruß an meinen Exboyfriend Jack Daniels, zu dem ich nicht zurückkann, weil ich eine Affäre mit seinem Cousin Jim Beam hatte.“

Gerade Riberas ruhige Lieder reißen emotional mit: In „St. Augustine“ ruft sie den heiligen Augustinus an. Und „Un Cygne, La Nuit“, ein berührendes ­Duett mit dem französischen Kollegen Arthur H, ist der Erinnerung an die letzten Tage einer verstorbenen Freundin gewidmet. Und am Ende des Albums lauert mit dem trinkfesten Proclaimers-Hit „500 Miles“, den sie dank drastischer Entschleunigung ganz zärtlich macht, noch eine dicke Überraschung.

Besonders an den Rhythmusspuren hat Alejandra Ribeira mit ihrem Produzenten gefeilt: „Wir haben fast jeden Gegenstand im Studio mit Sticks bearbeitet: Ventilatoren, Heizung, Wände, Lampen. Das Album ist ein Ergebnis langen Marinierens und Köchelns.“ Ihr nächstes Werk hat sie bereits im Kasten: Es wurde im gerade noch tief verschneiten Kanada eingespielt, in minimalistischem Trio-Setting. Darauf setzt sie auch auf der Bühne: Ihre Auftritte auf mehreren deutschen Sommerfestivals wird sie in kleiner Besetzung bestreiten.

Konzerte: 8. Juli Karlsruhe, Zeltival. 9. und 10. Juli TFF Rudolstadt, 28. Juli Lörrach, Stimmen-Festival

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen