Performance der Plattenspieler

Soundart Multimediakomponist und Choreograf Philip Jeck manipulierte Vinyl an der Volksbühne

Es waren nicht nur die Hip-Hop- und Club-DJs, die Anfang der Achtziger auskundschafteten, was man mit ein paar Vinylschallplatten alles anstellen konnte, wenn man sie auf eine bestimmte Weise ineinandermischte. Auch von einer anderen Ecke her, der experimentellen, halb akademischen Szene mit direktem Anschluss an den Sektor der bildenden Kunst, wurde versucht, den Plattenspieler wie ein echtes Instrument zu begreifen. Philip Jeck aus Liverpool war einer dieser frühen sogenannten Turn­tableisten, und auch heute noch sind das primäre Ausgangsmaterial seiner Musik Klänge, die er auf Schallplatten vorfindet und die er so lange und intensiv manipuliert, bis sie zu seinen eigenen werden.

Wie genau der 64-Jährige das anstellt, das zu beobachten ist äußerst spannend, auch wenn man sich bei seinem Auftritt im Roten Salon der Volksbühne trotzdem dauernd fragen muss: Was genau macht der Mann da eigentlich die ganze Zeit?

Konzentriert sitzt er vor seinen Gerätschaften – ein Laptop fehlt, was heutzutage äußerst ungewöhnlich ist – alle paar Minuten wechselt er geruhsam und ohne einen Anflug von Hektik die Schallplatten auf seinen beiden Uraltplattenspielern, immer wieder brutzelt es dann wohlig durch die Lautsprecher, wenn die Nadel das Vinyl berührt und langsam, ganz langsam werden die von allerlei Effektgeräten hart bearbeiteten Klänge der neuen Platte in den anhaltenden Soundfluss eingewoben. Die Klänge wirbeln nur so umher, um sich im nächsten Moment schon wieder wohlig und sanft auszubreiten.

Philip Jeck, der bereits eine ganze Reihe von der Kritik meist gefeierter Platten veröffentlicht hat, ist kein Avantgardist, der sein Publikum musikalisch vor allem herausfordern will, gern klingt es bei ihm so, als könnte er seine Musik auch auf den Pop­ambient-Samplern des Kölner Technolabels Kompakt veröffentlichen.

Ein irgendwie magisches Schauspiel ist es, Philip Jeck beim permanenten Verfremden und Manipulieren zuzusehen, der Vinylartist ist der Zauberer unter den Schallplattenspielerspielern, nur leider will seine Show kaum jemand sehen in Berlin. Keine Ahnung, ob es daran liegt, dass die Berliner noch den Karneval der Kulturen, den letzten Platz beim ESC oder das Ende der Bundesligasaison verarbeiten müssen, auf einen Turntableisten höheren Semesters scheint an diesem Montag jedenfalls kaum einer Lust zu haben. Vielleicht hängt den Leuten auch einfach langsam das Thema Vinyl samt dessen Revival zum Hals raus, auch wenn dies unfair gegenüber Jeck wäre, der ganz unabhängig vom jeweils aktuellen Vinylkurs all die Jahre immer nur sein Ding durchgezogen hat.

Immerhin weiß man jetzt aber, was in dieser Stadt, in der ansonsten jeder noch so verschrobene Krachmusiker sein Publikum findet, ganz offensichtlich zumindest an Pfingsten gar nicht funktioniert: Soundart.

So fühlt man sich bei Jecks Auftritt an gute alte Zeiten im längst verblichenen Podewil erinnert, wo stets unerschrocken einem kleinen eingeweihten Publikum musikalische Grenz­erfahrungen kredenzt wurden. Auch im Roten Salon sind die Kenner nun wieder unter sich, auch wenn es nur ein kleines Häuflein ist. Während die Hipster eher nebenan, im großen Saal der Volksbühne, dem Opulenzpop von Ry X lauschen.

Andreas Hartmann