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Jetzt erst recht!

Unruhestand In die Jahre nach dem Arbeitsleben ist mächtig Bewegung gekommen. Eine neue Generation von Senioren drängt an die Universitäten, packt die Koffer für große Reisen und gibt sich nicht mehr mit Kegelabend und Turnverein zufrieden

von Cordula Rode

„Luft und Bewegung sind die eigentlichen geheimen Sanitätsräte.“ Was Theodor Fontane bereits im 19. Jahrhundert konstatierte, hat bis heute seine Gültigkeit nicht verloren – ganz im Gegenteil. Angesichts der demografischen Entwicklung, nach der im Jahr 2030 jeder dritte Deutsche älter als 60 Jahre sein wird, sowie der kontinuierlich steigenden Lebenserwartung, kommt dem Lebensabschnitt des Alters eine völlig neue Bedeutung zu. Dachte man noch vor gut zwei Jahrzehnten beim Stichwort des „aktiven Seniors“ an drahtige Herrschaften im Turnverein oder strickende Damen in der örtlichen Frauengruppe, so hat sich dieses Bild heute grundlegend geändert. Nicht zuletzt die 68er Generation, die auch im Rentenalter nicht bereit ist, Ruhe zu geben, bestimmt das ganz neue Image dieser Lebensphase. In den vermeintlichen „Ruhestand“ ist längst Bewegung gekommen – und diese beschränkt sich nicht auf körperliche Aktivitäten.

„Die Zahl der Seniorstudenten an den deutschen Universitäten nimmt deutlich zu“, weiß Bernd-Werner Schmidt, stellvertretender Vorsitzender des akademischen Vereins der Senioren in Deutschland (AVDS). „Die Generation älterer Menschen, die nun an die Unis kommt, hat ein ganz anderes Selbstverständnis – man holt nach, was aus den unterschiedlichsten Gründen im bisherigen Leben nicht möglich war.“ In der Insa-Studie 50plus (Institut für neue soziale Antworten) von 2014 gaben 35 Prozent der befragten Personen der Gruppe 50plus an, rückblickend ihre beruflichen Wünsche nicht ausreichend verwirklicht zu haben, 9 Prozent sogar in keiner Weise. „Viele konnten damals aufgrund gesellschaftlicher oder ökonomischer Gegebenheiten kein Abitur machen, obwohl sie die intellektuellen Voraussetzungen gehabt hätten“, erklärt Schmidt. Für sie ist das Seniorenstudium eine Möglichkeit, Versäumtes nachzuholen. Vom Gasthörerstudium über spezielle Seniorenstudiengänge bis hin zu Zertifikatskursen bieten die deutschen Universitäten die unterschiedlichsten Möglichkeiten an. „Besonders beliebt sind die Geisteswissenschaften“, erklärt Bernd-Werner Schmidt. Rund 55.000 Seniorenstudenten gibt es zurzeit in Deutschland. In seinem Studienführer fasst der AVDS alle Angebote zusammen, um Interessierten eine Orientierungshilfe zu geben.

Geld spielt keine Rolle

Dass Daumendrehen nicht ins Konzept der aktiven Senioren passt, zeigt sich auch bei der Entwicklung auf dem Reisemarkt. 69 Prozent der über 60-Jährigen sind im Jahr 2015 verreist, wie die aktuelle Analyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) zeigt. Und der Trend ist weiter steigend: Für das Jahr 2025 rechnet man damit, dass der Anteil dieser Altersgruppe am Gesamtmarkt auf 39 Prozent steigen wird. Der überwiegende Teil der älteren Reisenden ist in guter gesundheitlicher Verfassung und benötigt kaum andere Voraussetzungen als jüngere Reisende. Für diejenigen, auf die das nicht zutrifft, wird sich das spezielle Angebot stark erweitern. Barrierefreie Unterkünfte, pflegerische oder sogar ärztliche Betreuung ermöglichen es auch Senioren mit gesundheitlichem Handicap zu reisen – und dabei muss es nicht beim Inland bleiben! China, Russland, Indien – dem Fernweh sind keine Grenzen gesetzt. Auch die finanziellen Mittel stellen für einen beachtlichen Teil der Senioren kein Limit dar: Die FUR hat festgestellt, dass die Zielgruppe über ein höheres Einkommen als der Durchschnitt verfügt, was auch durch die Insa-Studie bestätigt wird. Auch hier bewerten ältere Menschen ihre finanzielle Situation besser als jüngere.

Wegweiser

Der Akademische Verein der Senioren in Deutschland informiert zum Thema Seniorenstudium. Dort kann man auch den aktuellen Studienführer bestellen: www.avds.de

Das Portal für Senioren bietet Informationen zum Thema Betreutes Reisen. Auch zu Wohnen/Leben, Gesundheit/Wellness und Finanzen/Vorsorge gibt es Tipps und Links: www.portal-fuer-senioren.com

Der Deutsche Olympische Sportbund hat eine Seite für Sport für Menschen über 50 eingerichtet, von geeigneten Sportarten über gesundheitliche Voraussetzungen bis hin zu aktuellen Projekten: www.richtigfitab50.de (cro)

Das vielseitige Angebot macht es den Silver Agern leicht, auch im alltäglichen Leben in Bewegung zu bleiben. Immer neue Trends gibt es im Bereich Sport und Fitness. Nordic Walking und Fitnessstudio gehören längst auch für die Älteren zum Standardrepertoire. Großer Beliebtheit erfreuen sich zurzeit Tai Chi und Yoga, da sie auch für diejenigen geeignet ist, die nicht mehr ganz so fit sind. Und selbst sehr eingeschränkt mobile Senioren können beim „Rollator-Walking“ oder bei der Sitzgymnastik ihre verbliebenen Fähigkeiten stärken.

Mit der neuen Jugendlichkeit entdecken die unruhigen Alten aber auch zunehmend Sportarten für sich, die auf den ersten Blick nicht in die Seniorenrubrik zu gehören scheinen. „Tauchen ist ein Sport, der sich bestens auch für ältere Menschen eignet“, schwärmt Rolf Richter, Seniorenbeauftragter des Verbands deutscher Sporttaucher (VDST). „Ob Pressluft oder Apnoe – Beweglichkeit und Ausdauer werden trainiert, und die Schwerelosigkeit im Wasser schont die Gelenke.“ Einen ähnlichen Effekt haben auch Reiten oder Inlineskating. Auch hier gibt es spezielle Angebote.

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