Theaster Gates im Kunsthaus Bregenz: Die Handtasche und der Teer

In der Ausstellung „Black Archive“ zeigt Theaster Gates Gegenstände seines schwarzen Umfelds. Vor Kitsch und Klischees schreckt er nicht zurück.

Auf einem orange gemusterten Stoff liegt ein großer schwarzer Babykopf als Skulptur

Das gigantische „Tar Baby“ ist nur eine der Monstrositäten der Ausstellung Foto: Christian Hinz/Kunsthaus Bregenz

BREGENZ taz | Theaster Gates nimmt meine Handtasche und beginnt zu dozieren. Für mich sei das möglicherweise nur eine Handtasche, in der ich persönliche Dinge umhertrage, tatsächlich aber sei es ein Objekt, das von Material, von Handwerk, von Farbe, von Weiblichkeit, von kulturellem Wandel, von Mode und Gesellschaft erzähle, von Bewegung und von Reise. Er unterbricht sich dann (vielleicht war ihm das dann doch zu banal) und kommt auf seine Ausstellung im Kunsthaus Bregenz (KUB) zu sprechen.

Ursprünglich habe er vorgehabt, Objekte aus seinen Archiven zu präsentieren, Archiven, in denen die noch so abseitigsten Artefakte, Bücher, Platten, Bilder versammelt sind, die zur Kultur des schwarzen Amerika gehören. Doch nun habe er sich entschlossen, Bilder und Skulpturen zu zeigen, in denen sich für das weiße Publikum die schwarze Kultur spiegelt. Dabei gehe es um Geschichte, Politik, Gesellschaft, um Formalismus (die Metaebene meiner Handtasche?), um logische Betrachtungsweise, sagt er und vergisst nicht, bevor er flink um die Ecke verschwindet, zu erwähnen, welche großartigen Gestaltungsmöglichkeiten sich ihm hier eröffnet hätten. Tatsächlich sind fast alle skulpturalen Werke (Gates ist gelernter Bildhauer, zudem Urbanist und begnadeter Performer) dieser ersten großen Einzelausstellung in Europa in Vorarlberg entstanden.

In der Eingangshalle verströmt eine Art Mauer aus zusammengerollten Dachpappen, wie man sie im Baustoffhandel bekommt, Teergeruch. Dahinter läuft ein Video mit Ausschnitten aus dem Film „The Littlest Rebel“, in dem Mr. Bojangle und der Kinderstar Shirley Temple 1935 munter die zeittypischen Klischees bedienen; sie, mal mit schwarzbemaltem Gesicht als Kumpel, mal stramm eine schwarze Kinderkapelle anführend, er immer frohgemut und meistens tanzend.

Damit skizziert Theaster Gates wie in einem Präludium Ansatz und Basis seiner Kunst. Der schwarze Teer verweist auf seine Herkunft und auf die Schwerstarbeit, mit der sein Vater die Familie ernährte, der Film auf das grausam rassistische Urteil einer Gesellschaft, die Schwarze als meist gutmütige Deppen, als Uncle Tom, auf jeden Fall als Menschen zweiter Klasse herabwürdigte. Das ist noch nicht lange her und längst noch nicht vorbei.

Ein schwarz geteerter Babykopf

Gates hat in seinem Archiv eine Sammlung mit Objekten, die Schwarze, vergröbert reduziert auf Merkmale wie wulstige Lippen, komische Klamotten etc., in putziger oder spaßiger Form darstellen. „Negrobilia“ nennt er diese Monstrositäten. Für die Ausstellung hat er eine kleine Figur, die auf einer Wippe steht und durch Antippen lustig mit den Gliedmaßen schlenkernd in die Höhe hüpft, ins Riesenhafte vergrößert. Die Besucher dürfen nun auf das Brett springen und werden mir nichts, dir nichts ein sehr unvorteilhafter Teil dieser burlesken Marionettenspielerei („The Dancing Minstrel“). Daneben, ebenfalls um ein Zigfaches vergrößert, liegt auf einem Teppich das „Tar Baby“, das Blow-up eines hübschen, spitzenverzierten Nadelkissens, gekrönt von einem glänzend schwarz geteerten Babykopf.

In einem der vier Säle des Kunsthauses hängen skulpturale Wandarbeiten. Es sind aneinandergefügte, mit Dachpappe bespannte und mit dünner Teerschicht bestrichene Planken, aus den Zwischenräumen quillt die zur Verleimung verwendete Teerpaste. Duster sieht das aus, ein bisschen fromm auch. Ein reichlich pathetisch geratener Verweis auf die Realität der schwarzen Lebenswelten im Süden Chicagos, wo Gates aufgewachsen ist und heute noch lebt.

„Negrobilia“ nennt Theaster Gates diese gesammelten Monstrositäten in seinem Archiv

Interessanter ist die Metamorphose von Jet, dem 1951 gegründeten Weekly Negro News Magazine, das heute natürlich nicht mehr so heißt und inzwischen nur noch digital erscheint. Ein Bregenzer Buchbinder-Duo hat die einzelnen Jahrgänge in jeweils einheitlichen Farben gebunden und Gates hat sie dann in farblicher Abstimmung in quadratischen Rahmen so arrangiert, dass sie an Josef Albers’ berühmte Farbstudien Homage to the Square erinnern.

Ein recht grobes Zitat, denn Albers untersuchte und beschrieb mit diesen subtilen Arbeiten die Wechselwirkung nuancierter Farbfelder im immer gleichen Quadraten. Davon kann bei den zum Farbrelief angeordneten Buchrücken nicht die Rede sein, aber die Würdigung des nach Amerika emigrierten Bauhausmeisters, der Lehrer von Rauschenberg, Twombly und vielen anderen Berühmtheiten war, ist evident und der Arbeit eines gewissenhaften Archivars angemessen.

Und ebenso aller Ehren wert ist die Präzision und die Leidenschaft des Künstlers Theaster Gates, der vor der Komplexität, auch der Trivialität seiner Themen, der Banalität des Bösen, nicht in die Knie geht, sondern nüchtern nach eingängigen Bildern sucht.

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