: Der gute alte Seiltänzertrick
VON NICK REIMER
Deutschlands größte Umweltorganisation hat gerade Geburtstag gefeiert: Knapp 3.000 Gäste kamen vor zwei Wochen ins Kongresszentrum der Messe München, um die „Naturfreunde Deutschland“ zu ehren. 1905 gegründet, pflegen die Naturfreunde heute Wanderwege, sammeln Müll, montieren Solaranlagen. Die Festrede hielt Wolfgang Thierse. Trotzdem hat die Öffentlichkeit von diesem Jubiläum kaum Notiz genommen.
In dieser Woche ist das anders: In Berlin feiert heute Greenpeace Deutschland seinen 25. Geburtstag. Zwar werden nur 150 Gäste auf dem eigenen Segelboot erwartet. Trotzdem ist Aufmerksamkeit gewiss. Der Deutschlandfunk und das ZDF haben schon gratuliert, Reinhard Bütikofer von den Grünen natürlich und sogar das Handelsblatt schrieb eine Lobeshymne. Der mediale Erfolg wundert niemanden. Denn die Umweltschutzorganisation war von Anfang an die Meisterin der Inszenierung.
Wollpulli und lange Unterhosen gegen peitschenden Wind und null Grad Celsius: Monika Griefahn schaukelt am 13. Oktober 1980 auf einem kleinen Boot in der Wesermündung. Mit einem Dutzend MitstreiterInnen des Bielefelder Vereins zur „Rettung von Walen und Robben“ hatte sie sich an den Frachter „Kronos Titan“ gekettet, der „Dünnsäure“-beladen war – flüssige Abfälle aus der Farbstofffabrikation, die bis zu 24 Prozent Schwefelsäure enthalten. Das Schiff will nur ein bisschen raus auf die offene See, um dort seine Fracht zu „entsorgen“. Doch daraus wird nichts: Das Medienecho auf diese neue Form von zivilem Widerstand ist zu groß.
Ein paar Tage später gründet die heutige SPD-Bundestagsabgeordnete Griefahn mit Freunden die deutsche Sektion von Greenpeace. Was mit dem Engagement für Wale und Abrüstung begann, entwickelte sich in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre zur Antwort auf eine Gesellschaftsfrage: Wie kann eine Umweltinitiative funktionieren, ohne dass sich Menschenmassen in Bewegung setzen?
Greenpeace braucht nicht tausende DemonstrantInnen, wie beispielsweise Frankfurt gegen die Startbahn-West. Im Gegenteil: Kleine mobile Teams fahren in Schlauchbooten herum, vollführen seiltanzartige Auftritte an Türmen und Schiffen und inszenieren medienwirksam die klassische Geschichte vom gerechten David gegen den tumben Goliat. Als sich Mitte der 80er abzeichnet, dass die großen Mobilisierungszeiten vorbei sind, beginnt die große Zeit von Greenpeace. Und als der französische Geheimdienst im Juli 1985 das Greenpeace-Flaggschiff „Rainbow Warrior“ versenkt, wird ein Mythos geboren: die „Regenbogenkrieger“, die sich selbst mit der Staatsmacht anlegen.
Im linken, alternativen Milieu fand das rasenden Beifall. Und dieser Beifall zahlt sich noch heute für Greenpeace aus. Es war die Zeit, als im Milieu die Kirchenaustritte in Mode kamen. „Wer nicht in den Verdacht geraten wollte, einen anderen Grund als Atheismus für seinen Kirchenaustritt zu besitzen, der überwies seine Kirchesteuer an Projekte“, sagt Gerd Rosenkranz, damals taz-Autor, später Spiegel-Redakteur und heute beim Umweltverband Deutsche Umwelthilfe tätig. Viele der Kirchen-Austreter überwiesen das Geld an Greenpeace – und sind bis heute treu. Greenpeace schaffte es so, den festesten Spenderstamm in Deutschland aufzubauen. 41,5 Millionen Euro nahm die deutsche Sektion im letzten Jahr ein – inflationsbereinigt fast derselbe Betrag wie 1995. 90 Prozent der Einnahmen sind Spenden.
Derart ausgestattet, ist Greenpeace jene Umweltschutzorganisation, die über die besten Möglichkeiten verfügt. Zum Beispiel im Gutachterwesen. Nicht selten liefern von Greenpeace beauftragte Gutachten Erkenntnisse, die Debatten neue Impulse verleihen. Zum Beispiel zur Zukunft der Atomkraft: Als Finnland bekannt gab, einen neuen Reaktor zu bauen, warnte die deutsche Stromwirtschaft vor dem Verlust des technologischen Anschlusses auf dem Energiesektor. Greenpeace ließ nachrechnen: Geht der finnische Reaktor wie geplant 2010 in Betrieb, werden die bis dahin europaweit aufgestellten Windräder zehnmal mehr Strom liefern, als der Reaktor. Technologisch führend sind oft deutsche Firmen.
So gut solche Argumente sind, so problematisch sind Greenpeace-Gutachten. „Niemals wird man in ihnen auch nur einen Halbsatz finden, der die Greenpeace-Position nicht zementiert“, sagt Gerd Rosenkranz. Gutachter begutachten im Auftrag von Greenpeace so lange, bis der – zuweilen auch anerkannte – wissenschaftliche Zweifel zweifelsfrei ausgeräumt wird.
Ähnlich stromlinienförmig funktioniert die Organisation. „Greenpeace ist alles andere als demokratisch: eine zentralistische Organisation mit starken Hierarchien“, sagt Michael Schaaf. Im April 1990 – also noch in der DDR – gründete er Greenpeace in Leipzig. Schaaf: „Wir mussten dann in Hamburg einen Vertrag unterzeichnen, der unsere Geschäftsbeziehungen regelt.“ Um im Namen von Greenpeace agieren zu dürfen, müssen die Leipziger sämtliche finanziellen Ansprüche – etwa aus Leipziger Spenden – abtreten. Im Gegenzug erhalten sie Infomaterial, Mietkosten und Aufwandsentschädigungen. „Für den Spendentisch in der Fußgängerzone gab es 40 Mark“, erinnert sich Michael Schaaf.
Versuche, eigene Ideen vor Ort umzusetzen, scheiterten fast immer. „Hamburg beschließt, was in Leipzig gemacht wird“, sagt Schaaf. Und während aus den Zentralen in Hamburg und Berlin 215 Festangestellte agieren, bleibt der übrigen Republik nur das Ehrenamt. „Entweder man akzeptiert das oder nicht“, sagt Michael Schaaf, der bis 2003 einer der aktuell 27.000 Ehrenamtlichen war. Zwar haben die Ehrenamtlichen immer wieder versucht, mehr Einfluss auf die zentralen Entscheidungen zu bekommen und mittlerweile sitzt auch ein Vertreter der Ehrenamtlichen in den Gremien. Wirklich geändert hat sich aber nichts.
Schon früh spaltete sich eine Gruppe ab, die mit dem Zentralismus à la Greenpeace nicht viel anfangen kann: Robin Wood ist bis heute der Gegenbeweis für das Argument, dass Aktionismus nur zentral gesteuert werden kann. Bei Robin Wood, zwei Jahre nach Greenpeace gegründet, läuft alles basisdemokratisch ab. Zwar rieten die PR-Fachleute, die erst 16-jährige Marie nicht im Castor-Gleisbett einzubetonieren. „Mädchen von Castor-Chaoten verführt“ – so etwas kann auch nach hinten losgehen. Die Basis aber entschied anders.
„Greenpeace hat der Umweltbewegung gezeigt, wie man es zu Medienaufmerksamkeit bringt. Die tagtägliche Kleinarbeit vor Ort überlässt man aber gern den anderen Umweltverbänden“, urteilt Günther Marian, Geschäftsführer der Naturfreunde Deutschland – jenes Umweltverbandes, der trotz seiner 90.000 Mitglieder vor zwei Wochen in München fast unbemerkt Geburtstag feierte. „Greenpeace erweckt gern den Eindruck, eine Bewegung zu sein, ist aber nichts andere als eine Firma“, sagt Marian. Tatsächlich verkauft Greenpeace heute Kinderspiele, Textilien, Vasen oder grünen Strom. Die Tochter Greenpeace Media GmbH setzte im letzten Jahr 3,6 Millionen Euro um, die Tochter Greenpeace Energie eG hat mittlerweile 27.000 Kunden. Letztes Wochenende versteigerte die Arche Warder – eine Greenpeace-eigene Zuchtstation – über 100 Pferde, Rinder, Schafe, Ziegen und Hühner.
„Der letzte große Coup liegt zehn Jahre zurück“, urteilt das Handelsblatt und meint damit Brent Spar. Wochenlang haben die Aktivisten damals die dem Untergang geweihte Ölplattform besetzt gehalten. Parallel organisierte Greenpeace ein Boykott von Tankstellen des Plattform-Besitzers Shell. Als der Umsatz um 50 Prozent einbricht, kapituliert der Ölmulti: Brent Spar wird nicht versenkt, sondern an Land demontiert. „Aus einem Sachverhalt den Konflikt zu destillieren und diesen dann als Mitmach-Event zu verkaufen – Greenpeace hat bei Brent Spar seine Strategie blendend umgesetzt“, urteilt Günter Bentele, der an der Universität Leipzig den Lehrstuhl Öffentlichkeitsarbeit innehat.
Dummerweise haben sich die Regenbogenkrieger aber verrechnet: Angeblich war ein Messfehler schuld, auf dessen Grundlage die in der Plattform verbliebenen Gift- und Ölmengen um ein Vielfaches zu hoch angegeben wurden. Der britische Greenpeace-Chef musste sich bei Shell entschuldigen. Unabhängige Wissenschaftler wiesen nach, dass die Entsorgung der Brent Spar an Land wesentlich umweltschädigender war als ihre Versenkung. „Bis Brent Spar hatte Greenpeace vor allem bei Journalisten eine hohe Glaubhaftigkeit“, sagt Bentele. „Ab da wurde alles, was von Greenpeace kam, besonders kritisch gesehen“.
Bis heute hat Greenpeace damit zu kämpfen. Zwar führte die Organisation als Konsequenz aus der Panne eine eigene Rechercheabteilung ein. Nie wieder aber wurden Greenpeace-Aktionen medial so erfolgreich. Zum Beispiel als die Umweltschützer ein eigenes Drei-Liter-Auto entwickelten: Statt über den Konstruktionserfolg zu jubeln, wurde die Bilanz in Zweifel gezogen.
Dabei ist das nach wie vor die Stärke von Greenpeace: Themen zu setzen und dranzubleiben. Wer weiß, ob es ohne Greenpeace FCKW-freie Kühlschränke gäbe. Wer weiß, ob der Atomausstieg ohne Greenpeace je zustande gekommen wäre. Sicherlich wäre die Welt ohne Greenpeace grauer.