: Das innere Ohr hört Kirchenglocken läuten
Konzert Marter in einer Kathedrale aus Schreien und prügelnden Attacken: Wrekmeister Harmonies spielten im Bei Ruth
Die Wrekmeister Harmonies haben es nicht so mit den schönen, unbeschwerten Dingen. Das ist auch eine Sache der prinzipiellen Einstellung. Und da ist J. R. Robinson, Mastermind des aus Chicago kommenden Experimentalmusikkollektivs, eben der Ansicht, dass das Leben unbedingt als langer, schleichender Prozess des Zerfalls wahrgenommen sein muss und das Licht sich letztlich in der Dunkelheit verliert.
Das jüngste, wieder bei dem renommierten Indielabel Thrill Jockey erschienene Album von Wrekmeister Harmonies trägt den Titel „Night of Your Ascension“ und versucht in zwei ausgedehnten Soundstrecken eine musikalische Annäherung an erstens Carlo Gesualdo, den italienischen Fürsten und Komponisten der Spätrenaissance, den man wegen seiner Madrigale kennt und eben auch als eifersüchtigen Mörder seiner Frau. Im zweiten Stück geht es um den Tod des Pfarrers John Geoghan, die Schlüsselfigur für die Skandale um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten.
Solche wirklich ungemütlichen Themen also treiben Robinson um. Qual und kalter Schrecken ist da zu hören in einer nicht nur schroffen Musik, weil die halt manchmal auch eine schmerzliche Schönheit kennt, der sich Wrekmeister Harmonies schon stellen wollen: bis dann etwa Gesualdos Renaissancemusik mit mächtigem Slowmotion-Metal niedergerungen (oder eben in die Jetztzeit transzendiert) ist und man in einer Kathedrale aus Schreien und prügelnden Attacken so gemartet wird, dass man darin doch seine Katharsis finden sollte.
Wie in den Bildern von Hieronymus Bosch
Jedenfalls klingt auch die Hölle in den Bildern von Hieronymus Bosch wie dieses dunkel leuchtende Himmelfahrtsalbum von Wrekmeister Harmonies.
Aber selbst in die Hölle muss man erst mal kommen. Am Mittwoch in der Nacht spielten Wrekmeister Harmonies im Bei Ruth zuerst die milde Sorte, anfänglich in einer konzentrierten Duobesetzung. Mit Keyboards, Geige, Gitarre und Elektronik wurde eine eher ruhige Klanglandschaft geschichtet – und wenn die einem zwar nicht gleich die heiteren Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande entlockten, war diese Ambient-Pastorale doch von einer Beschaulichkeit mit allerlei schönen Ausblicken auf eingebettete liedhafte Folkstimmungen. Ohne Schrecken.
Bis die Beschaulichkeit wieder delirieren musste und aus dem Seelenfrieden in Schreilust kippte. Als dazu noch ein Schlagzeuger und ein Bassist mit auf die Bühne kamen, wütete man sich bei den so härter bandagierten Wrekmeister Harmonies schließlich in einen weihevollen Doom-Metal, bei dem man mit seinem inneren Ohr immer gleich das schwere Läuten der Kirchenglocken als unbedingt notwendige akustische Ergänzung mithören wollte.
Arme-Sünder-Musik.
Wenn man nur ein wenig in ihr wiegte, durfte man hienieden etwas Erlösung für zwischendurch finden.
Thomas Mauch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen