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Der Indische Seiltrick war eine Ente

schein und sein Der dänische Künstler Ebbe Stub Wittrup geht im Kunstverein Braunschweig der Komplexität unserer Wahrnehmung nach und ihrem Verlangen nach verlässlicher Wahrheit

Lügenpresse: Dieser Generalverdacht journalistischer Manipulation ist schon recht alt. Am 9. August 1890 berichtete die Chicago Daily Tribune aus dem indischen Gaya: Ein Reporter und ein Zeichner beobachteten dort einen Magier, der auf dem Marktplatz ein Seil senkrecht in die Luft aufrichtete. Ein Junge benutzte anschließend diese stabile Kletterhilfe – und verschwand im Nirgends des Himmels. Dass der illustrierte Artikel später durch eine Gegendarstellung widerrufen wurde, änderte nichts an den Mythen, die durch diese Geschichte nun unumstößlich in die Welt gesetzt worden sind: von dem Zauber des indischen Seiltricks etwa oder den übersinnlichen Kräften dortiger Alltagsbewältigung.

Der dänische Künstler Ebbe Stub Wittrup, 1973 in Aarhus geboren und in Kopenhagen lebend, untersucht in seinen Arbeiten physikalische, parapsychologische, aber auch fiktive Phänomene, geht Fragen der Komplexität unserer Wahrnehmung nach und ihrem Verlangen nach verlässlicher Wahrheit. Als Sinnbild seiner ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland steht nun ein senkrechtes Seil in der Eingangsrotunde des Kunstvereins Braunschweig, begleitet von einem Stapel Reprints des inkriminierten Zeitungsartikels.

Das Seil, mit einer Metallkonstruktion eindeutig verfestigt, leitet zu Effekten sogenannter bi- bis multistabiler Wahrnehmung über. Damit sind jene Kippbilder gemeint, die etwa der dänische Psychologe Edgar Rubin mit seinen schwarz-weißen Vasenreliefs malte. Bei geänderter Betrachtung erscheinen diese wie zwei einander zugewandte menschliche Profile.

Der Schweizer Mineraloge Louis Albert Necker machte im 19. Jahrhundert ähnliche Entdeckungen an kristallinen Strukturen. Seine zweidimensional gezeichnete Würfelkontur überführt Wittrup in mehrere dreidimensionale Kippfiguren aus schwarzem Gitterwerk: Mal schließt sich das Gesehene zu plausiblen Vorder- und/oder Rückseiten einer komplexen räumlichen Geometrie – mal löst es sich aus einem anderen Winkel zu bizarrer, wie statisch instabiler Unvollständigkeit auf.

Auch Rubins Reliefs transformiert Wittrup zu dreidimensionalen Körpern, lässt sie in dramatischer Schwarz-Weiß-Fotografie ein plastisches Eigenleben führen: Schatten werfende Stangen und lagernde Balken. Als Rubin-Hommage ist auch ein rätselhaftes Arrangement aus 18 irdenen Gefäßen zu lesen, das im zentralaxialen Gartensaal der Kunstvereinsvilla zu einem symmetrischen Verband formiert ist. Nur negiert ihre Spiegelachse nun die des Raumes, durchkreuzt ihn in fast diagonaler Schräge.

Seine Aufforderungen zur aktiven Wahrnehmung formuliert Ebbe Stub Wittrup mit handwerklichen, mitunter geradezu antiquierten Techniken. Häufig ist die Fotografie der Ausgangspunkt. Sie wird zum großformatigen Abzug, zum mechanischen Dia-Karussell oder auch zur ratternden Filmprojektion. Über die optische Aufzeichnung hinaus wird das Abbild mit historischen Verweisen oder Atmosphären aufgeladen und aus seiner Eindeutigkeit freigesetzt.

Auf Mallorca etwa entdeckte Wittrup den Alterssitz des dänischen Architekten Jørn Utzon, der sich nach dem Debakel um sein Opernhaus in Sydney hierhin zurückzog. Die kubische Architektur aus Kalksteinblöcken inspirierte offensichtlich einen Nachbarn Utzons zur Kopie. In sechs schwarz-weißen Abzügen fängt Wittrup Facetten des Originals, in einer Endlosprojektion die Wiederholung ein.

In beiden Architekturen platzierte er vor dem Fotografieren weiße Papierbögen: ein fast ritueller Initiationsakt für die folgende Überführung des dreidimensionalen Werkes in ein zweidimensionales Abbild, das sich zudem mit dem Thema Original und Replik auseinandersetzt. Das will dann gar kein (visuelles) Wahrheitsversprechen mehr erfüllen – ebenso wenig wie die Zufallssilben aus Luftballonbuchstaben, die die Leipziger Künstlergruppe Famed in der benachbarten Remise durch den Raum fliegen lässt.

Bettina Maria Brosowsky

Ebbe Stub Wittrup „Figures of Perception und Famed“, „Avantgarde & Desaster“: beide bis 22. Mai, Kunstverein Braunschweig

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