: Böhringers große Nummer
Football Der deutsche Wide Receiver Moritz Böhringer wird von den Minnesota Vikings beim NFL Draft ausgewählt. Böhringer ist der erste Europäer ohne College-Erfahrung in der Liga – und spielte im letzten Jahr noch für Schwäbisch Hall
Aus Berlin David Digili
Mit dem Umlaut haben sie es ja nicht so in den USA. Und so war am Samstagnachmittag in Chicago die Frage eher nicht, ob und wann Moritz Böhringer einen NFL-Klub findet, sondern eher, ob und wann es Redakteure, Moderatoren und TV-Experten schaffen, den Nachnamen des Deutschen einigermaßen korrekt zu schreiben und/oder auszusprechen.
Beim Draft, der alljährlichen Talentauswahl der 30 Klubs der Football-Liga, hat es der 22-Jährige geschafft: Die Minnesota Vikings entschieden sich nach langem Warten für den Wide Receiver (also dem Passempfänger des Quarterbacks) – und machten damit das so viel zitierte „Märchen“ perfekt. Aus der beschaulichen German Football League in den milliardenschweren Glanz- und Glamourbetrieb der National Football League (NFL). „Ich kann nicht beschreiben, wie ich mich fühle“, sagte Böhringer im ersten Interview mit Vikings-Kappe und schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf. „Es ist überwältigend.“ Es ist tatsächlich ein historischer Moment: Böhringer ist der erste Spieler, der ohne Erfahrung an einem US-College direkt aus Europa in die NFL gedraftet wird.
Nun muss sich der 1,93-Meter-Mann im Trainingscamp für einen Vertrag empfehlen. „Wir haben uns mit ihm zum Essen getroffen, haben uns sein Work-out angesehen und lange über ihn gesprochen“, erklärte Vikings-Coach Mike Zimmer die Entscheidung. „Ich glaube, darum geht es beim Draft auch – Träume wahr zu machen.“
Bei den Vikings, seinem erklärten Lieblingsteam, wird Böhringer auf Star-Spieler Adrian Peterson treffen. Erst durch Peterson kam Böhringer vor fünf Jahren überhaupt zum Football – ein YouTube-Video mit Highlights des populären Vikings-Receivers fesselte den damals 17-jährigen Stuttgarter. „Dass ich jetzt mit Adrian zusammenspielen werde, ist das Coolste überhaupt“, freut sich Böhringer.
2011 startete der Maschinenbaustudent bei den Crailsheim Titans in den Sport, wechselte 2015 in die GFL zu den Schwäbisch Hall Unicorns und überzeugte dort sofort mit Fabelwerten beim Raumgewinn und 16 erzielten Touchdowns.„Alles fing an mit einem YouTube-Video, das wir von ihm gesehen haben“, bestätigt Zimmer. „Natürlich haben wir noch eine Menge Arbeit, aber er bringt alles mit.“ So unglaublich die Personalie sein mag, so mehren sich die Stimmen, die Böhringer-Verpflichtung sei auch PR-Kalkül. Nach nur einem Jahr Football unter professionellen Bedingungen, dazu in Deutschland? Der Medienzirkus NFL will expandieren, orientiert sich seit Jahren an den Basketballern der NBA, die in jeder Sommervorbereitung und frühen Saisonphase Partien in Europa austragen.
Auch die Footballer spielten bereits in London, auch schon in Mexiko City. 2017 soll es wohl ein NFL-Spiel in Deutschland geben – ein deutscher Spieler mit Böhringers Aufstiegsgeschichte könne der Popularität des Sports im Fußballland nur zuträglich sein, so die Spekulation. Anders als die bereits in der NFL aktiven Markus Kuhn (New England Patriots) und Kasim Edebali (New Orleans Saints), die vor ihren Debüts bereits mehrere Jahre College-Erfahrung hatten, wirkt Böhringers Sprung viel unmittelbarer und näher. Nicht ohne Grund twitterte der deutsche NFL-Kanal direkt nach dem Draft: „Wie viele deutsche Fans die Vikings wohl gerade hinzugewonnen haben?“
102 Kilogramm Agilität
Dass der Hoffnungsträger indes keine reine Werbeaktion ist, wurde schon in den Probetrainings vor dem Draft deutlich, in denen Böhringers Sprint- und Sprungkraftwerte locker mit denen der Top-College-Receiver mithalten konnten. Mit 102 Kilogramm ist er agil, beweglich, stark beim Fangen von Pässen – „gute Hände“ heißt das in der Fachsprache. „Er ist groß, er spielt physisch, es ist einfach eine faszinierende Geschichte. Und vor allem: Wie schnell alles ging“, schwärmt TV-Experte Todd McShay. „Ich bekomme meine Chance, und die NFL die Werbung“, sagte Böhringer bereits im Vorfeld.
Beim Draft einigte man sich dann übrigens auf die Schreibweise „Böehringer“. Setzt sich der Neuling in der NFL durch, klappt es sicher auch irgendwann mit dem richtigen Umlaut.
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