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Golfen war gestern

Mamil-Racing Jetzt wird aufs Rennrad gestiegen. Die Teilnahme an einem der zahlreichen Rennradmarathons gehört mittlerweile zum Pflichtprogramm – nicht zuletzt in gewöhnlich gut verdienenden Kreisen

von Gunnar Fehlau

Rennrad fahren ist der ultimative Beleg, zu den Gewinnern der Gesellschaft zu gehören. Nach oben buckeln, nach unten treten. Wer sich auf diese Disziplin versteht, der kommt auch im Job klar: Bis kurz vor der Zielgeraden wird im Team gearbeitet. An der Flamme rouge, dem roten Lappen, der die letzten tausend Meter markiert, werden die Ellenbogen ausgefahren und rücksichtslos auf Sieg angetreten. Das kennt der Produktmanager aus jedem Projekt.

Beim Rennradfahren kann man seine Leistungsfähigkeit, ökologische Verbundenheit und auch seine Cleverness auf jedem Meter beweisen. Mit Beweisführung kennen sich Rechtsanwälte bestens aus. Vielleicht fahren sie deshalb so gerne Rennrad. Möglicherweise liegt es auch daran, dass für ein gutes Rennrad schon mal der Gegenwert eines japanischen Kleinwagens über die Ladentheke geht und bereits der schlichte Besitz eines solchen Renners den Erfolg der eigenen Kanzlei vortrefflich dokumentiert. Auf den Radausfahrten unter Gleichgesinnten lassen sich Geschäfte anbahnen wie beim Katerfrühstück nach dem Schützenfest oder im Elferrat des Karnevalsvereins. Ach ja, und dann hat man ja noch diese sportlichen Idole, die vermeintliche Höchstleistungen erbringen und von denen jeder weiß, dass sie dafür wahrscheinlich ordentlich geschummelt haben. Das kennen die Ausgleichsradsportler von ihrer Steuererklärung und den großen Exportaufträgen ihrer mittelständischen Mandanten.

Ein Schützenkönig in seiner ordengeschmückten Jacke mag grotesk wirken, ein Mittvierziger im Rennraddress eventuell exhibitionistisch. Presswurst mit Werbestickern. Die höflichen Briten benutzen dafür gern das hübsche Akronym Mamil: Middle aged man in Lycra (Mamil). Genug und berechtigt gelästert. Der Hobbyradsport ist randvoll mit Codes, Riten und Skurrilem. Doch er hat einen wahren, einen sportlichen wie sinnlichen Kern: Rennrad fahren in der Gruppe macht Spaß. Der Windschatteneffekt lässt die Gruppe schneller und weiter fahren als es der Einzelne vermag. Dies zu erleben, ist von wundervoller Reinheit, wie der erste Vogelgesang nach einem langen Winter oder wie das erhabene Gefühl, einen Ikea-Schrank wackelfrei und ohne Zurücklassung von Kleinteilen aufgebaut zu haben.

Am besten lässt sich das bei einem Rennradmarathon auskosten. Die kurzen Jedermannrennen (so heißen sie offiziell) haben Längen von 30, 40 Kilometern, kürzer geht auch. Und hier ist das Feld weitgehend von Teilnehmern geprägt, die vom persönlichen Ehrgeiz zerfressen sind. Bei einem Rennradmarathon hingegen, also einer Fahrt über 250 Kilometer und mehr, lässt sich ein Gemeinschaftsgefühl erleben, das heutzutage selten geworden scheint. Einzig in der Gemeinschaft eines gut rollenden Pelotons ist der Ritt bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus zu schaffen. Einzig in so einer Gruppe hat der Einzelne eine Chance aufs Ankommen. Es ist unbekannt, ob sich Angela Merkel jemals inmitten eines Pelotons bewegt hat. Aber ein Solidaritätsgefühl, die Wir-schaffen-das-Stimmung ist auf Langstrecken seit jeher häufig anzutreffen.

Die Wir-schaffen-das-Stimmung ist auf Langstrecken häufig anzutreffen

Um was es bei Marathonfahrten tatsächlich geht, was jeden Mann und jede Frau dort erwartet? Es lässt sich gut mit den drei Klassikern verdeutlichen. Da hätten wir Paris–Brest–Paris (PBP), das älteste noch ausgetragene Radrennen überhaupt. Es hat zwei unübersehbare Haken. Zum einen sind die 1.219 Kilometer Distanz für viele Radsportler dann doch wirklich zu viel, zum anderen findet es nur alle vier Jahre statt. Dann der Ötztaler Radmarathon: Mit seinen 238 Kilometern eigentlich eine moderate Angelegenheit. Doch seine gut 5.500 Höhenmeter, verteilt auf vier Alpenpässe, erlauben keine schwachen Waden. Der dritte Klassiker heißt in seinem Heimatland Norwegen Den Store Styrkeprøven, die große Kraftprobe. Sie wird alljährlich zur Sommersonnenwende zelebriert, in diesem Jahr zum fünfzigsten Male. In Deutschland nennt man das Rennen Trondheim–Oslo oder auch TrOslo. Es geht über 540 Kilometer mit seichten Anstiegen auf maximal tausend Meter von der ehemaligen norwegischen Hauptstadt Trondheim zur gegenwärtigen. Die schnellsten der bis zu 5.000 Teilnehmer spulen die Strecke in unter 13 Stunden ab, wer es gemütlicher angeht, hat bis zu 36 Stunden Zeit. „Tempo tötet“, lautet eine alte Weisheit unter Radfahrern.

Zusätzlich zu den Klassikern hat sich auch noch die L’Étape du Tour etabliert. Bei dieser Veranstaltung wird seit 23 Jahren jährlich eine Originaletappe der Tour de France als Jedermannrennen ausgerichtet. An immerhin einem Tag ist dann die Tour auch für Amateure zugelassen, die selbstverständlich zeitlich völlig getrennt von den Profis an den Start gehen. Im Jahr 2015 war eine ausgesprochene Kletterstrecke zu bewältigen: 138 Kilometer mit Bergankunft auf der Wintersportstation La Toussuire in der Region Rhône-Alpes (1.750 Meter). Rund 15.000 Teilnehmer waren letztmalig dabei, in diesem Jahr dürften es kaum weniger sein.

Gerade bei der gigantischen L’Étape du Tour weiß man, wer da so mitfährt, im Großen und Ganzen: Laut Veranstalter beträgt der Frauenanteil kaum 5 Prozent. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer liegt bei 45 Jahren. Mamil-Racing halt.

Der Autor (43) fährt Rennrad, hat sich auch 2016 bei Trondheim–Oslo angemeldet – und legt Wert auf die Feststellung, dass er weder Rechtsanwalt noch Zahnarzt ist

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