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Archiv-Artikel

„Der Beginn der Rechtsstaatlichkeit im Irak“

Saddams Richter bürge dafür, dass das Verfahren internationalen Maßstäben genüge, meinen die Kurden

„Der Richter ist Kurde. Das ist großartig, weil die Kurden besonders unter Saddam litten“

ERBIL taz ■ Auf diesen Tag hat Nisam Bilbas lange gewartet – Saddam Hussein vor dem Richter zu sehen. Um 12.45 Uhr Ortszeit ist es endlich so weit, die ersten Bilder flimmern über den Fernseher im schicken Restaurant Hawraman im Zentrum von Erbil. Das Gedränge vor dem Fernseher ist groß, alle wollen sie ihn sehen, den großen Herrscher von einst, der den Kurden so viel Unrecht angetan hat.

Die erste große Überraschung kommt, als die Kamera den Vorsitzenden Richter zeigt: Risgar Mohammed Amin, Oberster Richter am Gerichtshof in Suleimania. Die politische Klasse in Kurdistan hat dicht gehalten, nicht einmal Gerüchte über Amins Ernennung drangen nach außen. Die den Richter kennen, bescheinigen ihm große Unbeirrbarkeit.

„Er ist Kurde, das ist großartig“, sagt Mohammed Rawandusi. Warum? „Weil die Kurden ganz besonders unter Saddam gelitten haben“, sagt der Lehrer. Genau deshalb werden die Kritiker des Tribunals dem Richter voraussichtlich die Fähigkeit zu einem unparteiischen Urteil absprechen. Für den Lehrer ist es hingegen ein Beweis für die Gleichberechtigung der Kurden im Irak nach Saddam.

Beim Anblick Saddam Husseins spannt sich unwillkürlich Bilbas Rücken, sein Blick verengt sich, schnell sucht er nach einem besseren Platz. „Dies ist die Geburtsstunde der Rechtsstaatlichkeit im Irak“, sagt er. Endlich würde den Kurden, vor allem aber den Opfern der Diktatur wie ihm Gerechtigkeit widerfahren. Jahrelang war der Journalist in der kommunistischen Untergrundbewegung gegen das Regime aktiv und schmuggelte Aufrufe zum Widerstand aus dem seit 1991 befreiten kurdischen Gebiet in die Hauptstadt. Bei einer Kurierfahrt wurde er 1998 erwischt. Zweieinhalb Jahre saß er im Gefängnis und wurde schwer gefoltert. Die Haut über seinem linken Ellbogen ist großflächig vernarbt von der Säure, die die Folterer über ihn gossen. Er wolle Gerechtigkeit, keine Rache, sagt der 35-Jährige. Wie viele Kurden bemängelt die Runde, dass der Prozess nicht mit einem der großen Verbrechen beginnt. „Für die Opfer ist es aber mindestens so wichtig, dass das Verfahren internationalen Maßstäben genügt“, sagt Bilbas. „Diesen Beweis werden wir mit Richter Risgar antreten.“ Inga Rogg